Aufgrund massiver Proteste konnte ein kurzes Telefongespräch zwischen dem totalisolierten Abdullah Öcalan und seinem Bruder Mehmet Öcalan durchgesetzt werden. Das letzte Lebenszeichen von ihm stammte vom 27. April 2020. Damals fand ebenfalls ein kurzes Telefongespräch mit Öcalan statt. In den letzten Wochen war in den sozialen Medien aus staatsnahen Kreisen verbreitet worden, Öcalan sei verstorben. Die sich daraufhin ausbreitende Protestwelle ermöglichte das nach ungefähr fünf Minuten unterbrochene Telefongespräch. Auch das Gespräch zwischen dem ebenfalls auf Imrali isolierten Hamili Yıldırım und seiner Familie wurde unterbrochen. Die anderen beiden Gefangenen Ömer Hayri Konar und Veysi Aktaş weigerten sich aus Protest gegen die Isolation, ein Telefongespräch zu führen.
Mehmet Öcalan berichtete gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya über das Gespräch. Er sei am 24. März gegen 18.00 Uhr von einer Person, die sich als Direktor des Imrali-Gefängnisses vorstellte, angerufen und für den 25. März um 13.45 Uhr zur Oberstaatsanwaltschaft in Urfa (ku. Riha) bestellt worden.
Mehmet Öcalan wurde in einen Raum im sechsten Stock des Gerichts von Urfa gebracht, wo das Telefongespräch stattfinden sollte. Als das Telefon klingelte, war Abdullah Öcalan an der Leitung. Er fragte sofort: „Wie bist du dorthin gekommen? Wer hat dich gebracht? Wie lief das ab? Woher rufst du an?“
Abdullah Öcalan: Der Staat spielt ein hochgefährliches Spiel
Mehmet Öcalan berichtet über das Gespräch: „Mein Bruder hat gesagt: ‚Das Vorgehen von dir und des Staates ist ein Fehler. Aus folgendem Grund: Seit einem Jahr gibt es keinerlei Besuche. So etwas gibt es weder im Staatsrecht noch in irgendeinem anderen Rechtskanon. Es ist falsch und sehr gefährlich, dass du gekommen bist. Der Staat ist sehr gefährlich. Das ist nicht richtig. Wenn ein Treffen stattfindet, dann muss es innerhalb des rechtlichen Rahmens stattfinden. Es kann nicht sein, dass nach einem Jahr auf eigenen Wunsch ein Telefongespräch stattfindet.‘ Der Vorsitzende wiederholte: ‚Das, was ihr gemacht habt, ist sehr falsch. Des Staat macht einen Fehler und ihr auch. Das ist weder rechtens noch richtig. Es ist absolut inakzeptabel und gleichzeitig hochgefährlich. Seid ihr euch denn dessen bewusst, was ihr getan habt? Ich will, dass mein Anwaltsteam kommt und mit mir ein Gespräch führt. Das ist eine juristische Angelegenheit. Ich bin seit 22 Jahren hier. Wie soll es denn mit diesem Problem in Zukunft weitergehen? Dieses Problem kann nur durch das Recht gelöst werden. Warum kommen sie nicht her? Wenn ein Treffen stattfinden soll, dann muss das mit dem Anwaltsteam geschehen. Denn diese Situation ist sowohl politisch als auch juristisch.‘“
„Ich will nicht, dass irgendjemand im Hungerstreik für mich stirbt“
Mehmet Öcalan teilte seinem Bruder mit, dass das Telefongespräch vor allem auch aufgrund des Drucks durch den Hungerstreik der Gefangenen ermöglicht wurde. Zur Antwort Abdullah Öcalans sagt sein Bruder: „Der Vorsitzende erwiderte: ‚Ich will nicht, dass irgendjemand im Hungerstreik oder im Gefängnis für mich stirbt. Das habe ich schon früher gesagt und ich sage es jetzt noch einmal. Das ist nicht nötig. So etwas ist eine sehr gravierende Angelegenheit. Das müsst ihr euch vor Augen führen.‘ Wir haben vielleicht vier bis fünf Minuten gesprochen. Er hatte eine sehr schwache Stimme. Ich glaube, es war wirklich die Stimme des Vorsitzenden. Nachdem er gesagt hatte, ‚Dieses Gespräch ist kein Besuch und ein schwerer Fehler‘, wurde die Telefonleitung unterbrochen.“
Nach dem Unterbrechen der Leitung hätten die Verantwortlichen gesagt, er solle einen Moment warten. Mehmet Öcalan erzählt: „Dann klingelte das Telefon erneut. Jemand anderes war in der Leitung. Er erklärte, ich solle warten und nicht das Zimmer verlassen. Nach zehn bis fünfzehn Minuten des Wartens sagte ich, das Telefon werde wohl nicht mehr klingeln, und gab den Verantwortlichen Bescheid. Dann sagten sie mir ‚Das Gespräch ist vorbei‘.“
„Dieses Problem muss sofort gelöst werden“
Mehmet Öcalan appellierte an den Staat und alle Menschen „mit einem Gewissen“, etwas gegen diese „absolut inakzeptable Isolation“ zu unternehmen. Mehmet Öcalan erklärte: „Auch eine inhaftierte Person hat juristische und demokratische Rechte. Nach türkischem Gesetz haben wir das Recht, Gefangene alle 15 Tage zu besuchen. Anwälte haben das Recht auf wöchentlichen Besuch. Seit einem Jahr findet kein Besuch statt. Wo sonst auf dieser Welt gibt es das? Wir haben telefoniert. Das waren vier oder fünf Minuten. Wir haben uns nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen. Das ist antidemokratisch. Das ist selbst nach türkischem Recht inakzeptabel. Von hier aus fordern wir das CPT, den Europarat, die Menschenrechtsorganisationen, die Intellektuellen und Demokraten auf, etwas zu unternehmen. Dieses Problem muss so schnell wie möglich gelöst werden. Das ist inakzeptabel. Das darf nicht lächerlich gemacht werden. Wenn wir hier Bürger sind, haben wir juristische und demokratische Rechte. Diese Rechte müssen anerkannt werden.“
Abschließend sagte der Bruder von Abdullah Öcalan: „Diejenigen, die den Vorsitzenden an die Türkei übergeben haben, tragen auch eine Verantwortung. Familien- und Anwaltsbesuche müssen so schnell wie möglich stattfinden. Tausende befinden sich im Hungerstreik. Der Staat hält den Vorsitzenden seit 22 Jahren in Haft. Ein Gespräch von vier bis fünf Minuten am Telefon durchzuführen, ist einfach lächerlich. Der Vorsitzende ist eine Brücke zwischen den Völkern. Niemand hat das Recht, diese Brücke einzureißen."