Straftaten gegen Sinti und Roma angestiegen

Eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergibt, dass die registrierte Zahl der Straftaten gegen Sinti und Roma im Jahr 2020 um mehr als 50 Prozent angestiegen ist.

Im Jahr 2020 registrierte die Polizei 128 antiziganistische Straftaten in Deutschland. Dies stellt einen deutlichen Anstieg zu den Vorjahren dar. Im Jahr 2018 wurden 63 solcher Straftaten registriert und im Jahr 2019 81. Aus einer Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, geht hervor, dass es sich bei mindestens zehn der Straftaten im Jahr 2020 um Gewaltdelikte gehandelt habe.

Erfassung von antiziganistischen Straftagen mangelhaft

Die Dunkelziffer der Straftaten dürfte weit höher liegen, da die Diskriminierung von Sinti und Roma gesellschaftlich weit verbreitet ist und polizeilich ausschließlich „politisch motivierte Delikte“ erfasst werden. Jelpke kritisiert den verengten Fokus der Erfassung der antiziganistischen Straftaten: „Der Fokus der Sicherheitsbehörden, nur ausdrücklich politisch motivierte Vorfälle zu erfassen, ist viel zu eng. Denn Antiziganismus war in Deutschland über Jahrhunderte quasi gesellschaftlicher Konsens, und ist es teilweise heute noch. Rassismus gegen Sinti und Roma ist mitnichten ein exklusives Merkmal sogenannter Extremisten. Deswegen brauchen wir ein breit angelegtes, unabhängiges Monitoring, das auch solche antiziganistischen Vorfälle mit einbezieht, die nicht strafrechtlich relevant sind. Und an das sich auch Betroffene, die den Umgang mit Sicherheitsbehörden scheuen, wenden können.“

Polizei – ein Hotspot des Antiziganismus

Gerade in der Polizei sind antiziganistische Ressentiments weit verbreitet. Sinti und Roma werden immer wieder polizeilich in verschiedenen Sonderkategorien, die nur Chiffre für rassistische Einordnungen sind, erfasst, und selbst Polizeiberichte sind immer wieder durchsetzt von Antiziganismus.

Rassistisches Framing durch Behörden

Ein Beispiel für ein rassistisches Framing durch Polizeibehörden stellt eine diskriminierende Pressemitteilung der Bundespolizeidirektion München Ende August 2019 über die Zurückweisung einer Familie aus Bosnien-Herzegowina an der deutsch-österreichischen Grenze dar. In der Mitteilung wurde erwähnt, der Familienvater sei bereits wegen Leistungserschleichung polizeibekannt. Weiter hieß es wörtlich: „Die abgelehnten Asylbewerber, die wohl der Minderheit der Sinti und Roma angehören, waren ohne ausreichende Dokumente unterwegs.“ Auf Nachfrage der Abgeordneten verteidigte die Bundespolizeidirektion zunächst die Nennung des angenommenen ethnischen Hintergrundes der Familie.

Antiziganistischer Polizeiübergriff auf Elfjährigen

Es kommt immer wieder aber auch zu direkter physischer und verbaler Gewalt gegen Sinti und Roma durch die Polizei. So berichtet die taz über einen antiziganistischen Polizeiübergriff auf einen elfjährigen Sinto in Singen. Die Polizei habe das Kind festgenommen, ihm Handschellen angelegt und ihn rassistisch und antiziganistisch beschimpft. Der Junge war bei einer „anlasslosen Kontrolle“ beim Spielen von der Polizei durchsucht wurden. Dabei wurde bei dem jungen Sinto ein kleines Taschenmesser gefunden. Ihm wurden Handschellen angelegt, er wurde antiziganistisch beschimpft und soll sogar mit dem Tod bedroht worden sein. Der Junge wurde unter Gewaltanwendung in ein Polizeiauto gezwängt, auf die Wache gefahren und dort in einem Verhörraum festgehalten, bis er völlig verängstigt nach einer halben Stunde entlassen worden sei. Dies stellt einen eklatanten Rechtsverstoß dar, da Kinder unter 14 Jahren nicht strafmündig sind und ein Recht auf Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten bei polizeilichen Vernehmungen haben. Nach Angaben des Landesverbands der Sinti und Roma ist dies nicht der erste Fall von Polizeigewalt gegen Sinti und Roma in Baden-Württemberg.

Antiziganismus wird in der Polizei unter ‚ferner liefen‘ problematisiert“

Angesichts des grassierenden Antiziganismus in der Polizei fordert Jelpke Sensibilisierungsprogramme: „Unbefriedigend ist nach wie vor das weitgehende Fehlen von Aufklärungs- und Sensibilisierungsprogrammen für Polizeiangehörige. Pandemiebedingte Ausfälle von Schulungen wurden offenbar nicht ansatzweise durch Online-Kurse kompensiert. Ohnehin wird das Thema Antiziganismus, wenn überhaupt, unter ‚ferner liefen‘ abgehandelt und wiederum nur vermeintlichen Extremisten zugeschrieben. Phänomene wie institutioneller Rassismus und die antiziganistische Geschichte der Polizei können da überhaupt nicht thematisiert werden – das wäre aber dringend notwendig!“

Die Kleine Anfrage kann unter folgendem Link abgerufen werden: Mehr antiziganistische Straftaten: Höchste Zeit, gegenzusteuern! - Ulla Jelpke