Straffreiheit für Morde an Erdoğan-Kritikern?

Die türkische Regierung verabschiedet zum Jahreswechsel auf Basis des Ausnahmezustands zwei weitere umstrittene Notstandsdekrete.

Civaka Azad, das kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit mit Sitz in Berlin, hat in einer Presseerklärung auf die neuen Notstandsdekrete in der Türkei hingewiesen.

Die türkische Regierung verabschiedet zum Jahreswechsel auf Basis des Ausnahmezustands zwei weitere umstrittene Notstandsdekrete. Am Sonntag, dem 24. Dezember, traten die Notstandsdekrete Nummer 695 und 696 in Kraft. Dem Dekret 695 zufolge müssen Untersuchungs- und Strafgefangene zu Gerichtsterminen in einem einheitlichen Overall erscheinen. Neben der Einführung dieser einheitlichen Häftlingskleidung wird mit dem Dekret 696 de facto Straffreiheit für paramilitärische Gruppen gewährt. So sind nicht nur Handlungen gegen den Putschversuch und „terroristische Taten” vom Juli 2016 ab sofort straffrei, sondern auch solche, die sich gegen „die Fortsetzung davon” richten. Vertreter der Opposition und Anwälte sprechen von einem „Dekret zum Bürgerkrieg” und warnen vor Lynchjustiz.

Eren Keskin: Eine Fortsetzung in der Tradition genozidaler Politik

Die Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins İHD, Eren Keskin, erklärte zu dem Erlass der Dekrete: „Meiner Meinung ist es eine offene Fortsetzung der Tradition des Teşkilât-ı Mahsusa. Die Teşkilat-ı Mahsusa ist eine Geheimorganisation gewesen, die vom Komitee für Einheit und Fortschritt gegründet wurde, die für die damalig verübten Genozide verantwortlich ist. Ich denke, diese Logik wurde nun legalisiert. Die Türkei hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben. Die neuen Dekrete stehen im klaren Widerspruch dazu.”

Ayhan Bilgen: Ein gefährlicher Schritt ins Chaos

Der Sprecher der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Ayhan Bilgen, befürchtet, dass mit dem Dekret 696 die Grundlage für politisch motivierte Gewalttaten geboten und die Türkei damit einen gefährlichen Schritt ins Chaos getan habe. Bilgen wies darauf hin, dass Erdoğan sofort nach dem Erlass des Dekrets seinen Besuch in den Sudan antrat: „Die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Sudan teilen das Land in zwei Hälften, in denen paramilitärische Kräfte vorherrschend sind. Es ist vielsagend, dass Erdoğan mit einem Staatsmann, der für Menschenrechtsverbrechen verurteilt worden ist, gemeinsam vor den Kameras posiert. Es ist ein klarer Hinweis darauf, in welche Richtung die Türkei steuert.”

DTK: Der Weg zu neuen Massakern wurde geebnet

Auch der Demokratische Gesellschaftskongress (DTK) hat eine schriftliche Stellungnahme zu dem Erlass der beiden Dekreten veröffentlicht: “Es werden mit den Dekreten nicht nur Vorbereitung für Massaker an den politischen Gefangenen getroffen, sondern es werden auch Übergriffe gegen die Völker der Türkei und Kurdistans vorbereitet. Die Dekrete öffnen den Weg in einen Bürgerkrieg.”