Deniz Gider, Baugewerkschaft Inşaat-Iş
Bereits kurz nach der dramatischen Wahlniederlage der AKP bei den Kommunalwahlen am 31. März 2024 in der Türkei begann das Regime mit der Einsetzung von Zwangsverwaltern in Gemeinden, die es nicht gewinnen konnte. Während die AKP am Widerstand der Bevölkerung von Wan (tr. Van) scheiterte, seine Kandidaten durch einen Kommunalputsch zu installieren, wurden in Colêmerg (Hakkari), dann in Istanbul-Esenyurt und vor wenigen Tagen in Êlih (tr. Batman), Xalfetî (Halfeti) und Mêrdîn (Mardin) Zwangsverwalter anstelle der demokratisch gewählten Bürgermeister:innen eingesetzt. Erklärungen des türkischen Regimechefs Tayyip Erdoğan deuten darauf hin, dass weitere Kommunalverwaltungen unter staatliche Aufsicht gestellt werden sollen. In seiner 22-jährigen Geschichte hat das AKP-Regime 160 Mal Zwangsverwalter anstelle der von Kurd:innen gewählten Mandatsträger:innen eingesetzt.
Im ANF-Gespräch äußerte sich Deniz Gider aus dem Vorstand der Baugewerkschaft Inşaat-Iş aus Arbeiterperspektive zu den Entwicklungen. Er erklärte, das System der Zwangsverwaltung stelle einen Angriff auf alle Formen des organisierten Kampfes dar, die für das System eine potenzielle Gefahr sein könnten, und führte aus: „Unserer Meinung nach bedeutet das Regime der Zwangsverwaltung die Zerschlagung und Unterdrückung jeder Haltung und Dynamik, die sich dem unterdrückerischen Regime verweigert. Exemplarisch sollen alle Strukturen als potenzielle Gefahr für das System zerschlagen werden, die für den organisierten Kampf gegen Unterdrückung stehen oder das Potenzial dazu haben. Die durch einen schweren Kampf vom kurdischen Volk errungenen Kommunalverwaltungen haben einen großen Einfluss auf das alltägliche Leben von Frauen, Kindern, Jugendlichen, Alten, Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Arbeitslosen. Genau aus diesem Grund werden die Rathäuser seit Jahren usurpiert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei der Einsetzung von Zwangsverwaltern, insbesondere in Bezug auf das kurdische Volk, um einen Angriff auf seine politische Entfaltung und alle Lebensbereiche darstellt. Das Vorgehen ist der praktische Ausdruck einer Politik der aktiven Desorganisierung, der Entpolitisierung des täglichen Lebens und der Einkreisung durch reaktionäre ideologisch-politische Auffassungen. Die Tatsache, dass die ersten Handlungen der früheren Zwangsverwalter darauf abzielten, die Institutionen und Organisationen zu zerschlagen, durch die die Bevölkerung ihr Leben organisiert und das Gefühl entwickelt, Lösungen schaffen zu können, macht deutlich klar, worum es geht.“
„Es geht um die Zerschlagung der organisierten Arbeiterschaft“
Gider weiter: „Das Regime der Zwangsverwalter bedeutet nicht weniger als die Beseitigung von allem, das ein Hindernis für den Aufbau eines deregulierten, gewalttätigen Ausbeutungsregimes darstellen könnte. Die Politik der Zwangsverwaltung steht dem Willen der Arbeiterinnen und Arbeiter, der unterdrückten Völker, der Frauen, der Jugend und aller unterdrückten gesellschaftlichen Gruppen und ihrer Entschlossenheit, auf der Grundlage ihrer eigenen Kraft zu kämpfen, feindlich gegenüber. Das gilt in Bezug auf die Arbeiterinnen und Arbeiter am stärksten.“
„Den organisierten Kampf gegen das Zwangsverwalterregime ausweiten“
Gider unterstrich, dass der organisierte Kampf gegen das Zwangsverwalterregime ausgeweitet werden müsse, denn Zwangsverwaltung bedeute eine Zunahme der Todesfälle durch Arbeitsunfälle, der Repression und der Ausbeutung. Er schloss mit den Worten: „Das Kapital und seine politischen Vertreter wollen die ohnehin schon stark desorganisierte Arbeiterklasse weiter zerstreuen und ein noch deregulierteres und brutaleres Arbeitsregime errichten. Die Ausbreitung der Arbeitsmorde auf alle Branchen und selbst auf die ‚seriösesten‘ Unternehmen ist Ausdruck der Willkür und Brutalität des angestrebten Arbeitsregimes. Die Politik der Zwangsverwaltung ist die politische Entsprechung davon. Das Gegenmittel dazu ist stärkere Organisierung und die Ausweitung des Kampfes.“