SOS-Kinderdörfer: Kinder und Familien in Camps vom Tod bedroht

Die Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer hat eine alarmierende Erklärung in Bezug auf die Situation für Geflüchtete in Camps abgegeben: „Wir stehen vor einer globalen Katastrophe, sollte sich die Pandemie in Flüchtlingsregionen weltweit ausbreiten.“

Die Chefpsychologin der Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer, Teresa Ngigi, warnte vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, die Situation von Schutzsuchenden zu vergessen: „Wir sind extrem besorgt, dass der Ausnahmezustand innerhalb der eigenen Grenzen die Flüchtlingskrise aus dem globalen Bewusstsein verdrängen könnte.“ Schon jetzt seien vielerorts die Flüchtlinge sich weitestgehend selbst überlassen, Hilfsprogramme mussten schließen, staatliche Unterstützungen wurden gekürzt. Die SOS-Kinderdörfer appellieren deshalb an die internationale Gemeinschaft, auch Geflüchtete auf den Ernstfall vorzubereiten und in die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 mit einzubeziehen.

70 Millionen Flüchtlinge weltweit

70 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte davon Kinder, befinden sich nach Angaben der NGO auf der Flucht. „Den Folgen einer Corona-Epidemie haben sie nichts entgegenzusetzen“, sagt Ngigi. Denn es mangele ihnen an allem: medizinischer Versorgung, sanitären Einrichtungen, Nahrung, sauberem Wasser, staatlichen Hilfen und nicht zuletzt Informationen. Durch Hunger und Krankheiten oft bereits geschwächt, seien vor allem Kinder vom Tod bedroht.

Über 80 Prozent der Geflüchteten und nahezu alle Binnenvertriebenen lebten in Entwicklungsländern, wo die Gesundheitssysteme bereits in normalen Zeiten häufig überlastet seien. Über 25 Millionen Geflüchtete gäbe es allein in Afrika.

Katastrophale Verhältnisse in Flüchtlingscamps

Die NGO warnt vor der Situation in Flüchtlingslagern. Menschen leben auf engem Raum zusammen, was soziale Isolation fast unmöglich macht. Es mangelt ebenfalls an Tests. Somit kann nicht gesagt werden, inwiefern Menschen dort schon an Covid-19 erkrankt sind.

Die meisten Geflüchteten seien psychisch in einer ohnehin angespannten Situation. Viele hätten Traumata erfahren und stünden unter Dauerstress. Das wiederum schwäche ihr Immunsystem. „In Kombination mit den schlechten hygienischen Bedingungen ist das toxisch“, sagt SOS-Psychologin Ngigi.

Die meiste haben nicht einmal Seife zum Händewaschen

Die Verzweiflung der Menschen würde weiter verstärkt, wenn sie das Gefühl hätten, dass die internationale Solidarität an den Grenzen der Flüchtlingslager ende. Ngigi fordert: „Wir sagen, dass man sich die Hände waschen soll, aber meist haben sie in den Camps nicht einmal Seife. Sie haben nicht einmal genügend Wasser. Das müssen wir dringend ändern!“

Es mangle außerdem an adäquaten Informationen. „Während wir ein Übermaß an Informationen haben, fehlt den Menschen das Wissen in den Lagern oder es verbreiten sich Falschmeldungen", sagt die SOS-Psychologin. Das verstärke das Gefühl von Unsicherheit, das leicht in Panik umschlagen könne: „Wir müssen sicherstellen, dass die Geflüchteten umfassend, aber besonnen in ihren Sprachen informiert werden.“

Geflüchtete müssten in die Suche nach Lösungen mit einbezogen werden. Das helfe ihnen auch, ein Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen.

Zugang von Helfern muss gewährleistet werden

Wenn Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen nicht in die Lager können, habe das gravierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Kinder. Oft seien die Mitarbeiter*innen die einzigen, die Fürsorge und Sicherheit geben können. Hier sei es laut Nigi wichtig, Wege zu finden, um den Kontakt, auch digital, aufrechtzuerhalten.

Die Situation für Geflüchtete in verschiedenen Ländern

Im Anschluss stellte die NGO Kurzinformationen über die Lage von Schutzsuchenden in verschiedenen Ländern dar:

Kenia:

In Dadaab in Kenia, dem einst größten Lager weltweit, seien sämtliche Programme zurückgefahren und Eingangskontrollen verschärft worden, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Das Lager wurde bereits in den 90er-Jahren errichtet. Heute leben hier 218.000 Menschen, darunter zahlreiche Kinder.

Uganda:

In Uganda, einem wichtigen Aufnahmeland, herrscht seit dem 25. März ein Einreisestopp für Flüchtlinge und Asylbewerber. Sämtliche Transit- und Aufnahmezentren sind geschlossen. Aktuell leben in dem Land 1,4 Millionen Flüchtlinge. Die meisten sind vor Kriegen und Konflikten im Südsudan, in Burundi und der Demokratischen Republik Kongo geflohen.

Burkina Faso:

In Burkina Faso leben 800.000 Binnenvertriebene an zum Teil entlegenen Orten, die dringend auf Hilfe angewiesen sind. Sie zu erreichen werde durch Corona noch schwieriger, da die internationale Hilfe verringert und auch der öffentliche Verkehr stark eingeschränkt worden sei.

Bangladesch:

Im Flüchtlingslager „Cox Bazar" in Bangladesch wurden sämtliche Programme für die nächsten Wochen eingestellt, die nicht überlebenswichtig sind. Dazu gehören auch die Kinderschutzzentren und Bildungsangebote der SOS-Kinderdörfer. Im Camp leben 900.000 Angehörige der muslimischen Rohingya, die vor der Gewalt in ihrer Heimat Myanmar geflohen sind. Bangladesch ist eines der am dichtesten bevölkerten Länder weltweit. Das Gesundheitssystem ist jetzt schon deutlich überlastet.

Syrien:

Auch das syrische Gesundheitssystem wird einer Pandemie niemals standhalten können. Der Krieg im Land ist auch nach neun Jahren immer noch nicht vorbei. Millionen Flüchtlinge leben unter extremen hygienischen Bedingungen, es fehlt am Nötigsten. Schon heute sterben täglich Kinder an den Folgen.

Europa:

In Europa hat die Corona-Pandemie ebenfalls bereits gravierende Auswirkungen für Flüchtlinge. So sei die geplante Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen von der griechischen Insel Lesbos durch mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, ausgesetzt worden. Auf Lesbos leben vor allem im Camp Moria Geflüchtete unter katastrophalen Bedingungen: Einst für 3.000 Menschen ausgelegt, beherbergt das Camp inzwischen 20.000 Geflüchtete. Tausende Menschen teilen sich ein Waschbecken. Auch sämtliche Seerettungsschiffe hätten ihre Arbeit aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen und logistischen Problemen abbrechen müssen – obwohl weiter Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer unterwegs seien.