Silivri: Polizisten geben sich als Anwälte aus

Im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul haben sich Polizisten als Anwälte ausgegeben und auf illegale Weise versucht, politische Gefangene in einem laufenden Ermittlungsverfahren zur Aussage zu zwingen.

In der Strafvollzugsanstalt Silivri I haben sich Sicherheitskräfte als Rechtsanwälte ausgegeben und politische Gefangene zu Aussagen gedrängt. Das hat der Verein zeitgenössischer Jurist:innen (ÇHD) mitgeteilt. Der Verein will von der Istanbuler Staatsanwaltschaft der Republik wissen, ob diese von dem illegalen Vorgehen weiß oder gar eine entsprechende Anweisung gegeben hat. Die Anwaltskammer wurde aufgefordert, für Aufklärung zu sorgen.

Rechtsanwältin Meral Hanbayat ist Mitglied im ÇHD und hat mit Gefangenen in dem siebzig Kilometer westlich von Istanbul gelegenen Vollzugskomplex gesprochen. Wie Hanbayat gegenüber ANF erklärte, handelt es sich bei den betroffenen Gefangenen um Personen, die Mitte Oktober bei einer Operation in Istanbul festgenommen wurden. „Bei uns sind Beschwerden darüber eingegangen, dass Angehörige der Polizei und der Jandarma sich im Gefängnis als Anwälte ausgegeben haben und Gefangene zu einer Aussage gedrängt haben. Daraufhin haben wir mit fünf Gefangenen gesprochen. Sie gaben an, ihnen sei vom Wachpersonal mitgeteilt worden, dass ihr Anwalt gekommen sei. Im Besuchsraum stellten sie fest, dass es sich nicht um Anwälte handelt, sondern um Personen, die sie im Gewahrsam bei der Polizei und Jandarma gesehen haben. Einer der Gefangenen, mit dem wir gesprochen haben, wollte die Kabine daraufhin wieder verlassen und wurde von einem Vollzugsbeamten eingeschlossen. Bei dem erzwungenen Gespräch wurden die Gefangenen dazu gedrängt, ein Papier zu unterschreiben. Ihnen wurde gesagt, dass sie sofort freigelassen werden, wenn sie gegen andere aussagen. Andernfalls drohten zehn Jahre Gefängnis.“

Diese illegale Methode sei mehrfach in dem Ermittlungsverfahren angewandt worden, so Hanbayat. Drei Gefangene ließen sich auf das Angebot ein und wurden freigelassen. Aufgrund ihrer Aussagen kam es zu einer weiteren Operation.

Für Hanbayat ist offensichtlich, dass gegen die Untersuchungsgefangenen keine ausreichenden Beweise vorlagen und unter Vortäuschung falscher Tatsachen neue Aussagen eingeholt wurden. „Uns ist nicht bekannt, ob der Staatsanwalt das weiß oder sogar die Anweisung gegeben hat, aber ohne das Wissen und die Zustimmung der Vollzugsverwaltung wäre so etwas nicht möglich gewesen“, sagt die Rechtsanwältin. Sie wertet das Vorgehen als Misshandlung und Folter. Den Gefangenen gehe es psychisch sehr schlecht und sie wollten aus Sorge vor einer Wiederholung der Situation ihre Zelle nicht mehr für Anwaltsgespräche oder ärztliche Konsultationen auf der Krankenstation verlassen.

Hanbayat weist darauf hin, dass die Vollzugsleitung und letztendlich das Justizministerium für die Sicherheit der Gefangenen verantwortlich ist. Das Vorgehen sei illegal und überschreite alle Grenze. Gleichzeitig sei das Recht auf Verteidigung verletzt und der Anwaltsberuf vorgetäuscht und missbraucht worden. Für die Gefangenen gebe es keine Rechtssicherheit. Der ÇHD will die Angelegenheit weiter verfolgen, sowohl die Gefangenen als auch ihre Anwälte haben Strafanzeige gestellt.