Scharfe Kritik im Europaparlament an Ankara

Im Europaparlament ist über den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei diskutiert worden. Bei der parlamentarischen Debatte kamen auch die Hungerstreiks zur Sprache.

Im Europaparlament ist am Dienstag ein Bericht der Türkeiberichterstatterin Kati Piri diskutiert worden. Falls ein Änderungsantrag der Christdemokratischen Partei (PPE) und anderen rechten Kräften im Laufe des heutigen Tages akzeptiert wird, könnte es zur Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei kommen.

In der Debatte ergriff zunächst die Abgeordnete der niederländischen Arbeiterpartei und Türkei-Berichterstatterin Kati Piri das Wort und wies auf die Menschenrechtsverletzungen sowie die antidemokratische und rechtswidrige Praxis in der Türkei im vergangenen Jahr und die Zahl von über 100.000 Inhaftierungen hin. Piri kritisierte es als inakzeptabel, dass EU-Vertreter und die Regierung in Ankara diese Entwicklungen kaum wahrnehmen. Obwohl es keinen Grund gebe, unter diesen Bedingungen die Beitrittsverhandlungen mit dem autoritären Präsidenten in Ankara fortzusetzen, habe die EU in dieser Hinsicht keinerlei ernsthaften Schritte unternommen und nicht den notwendigen Druck auf Ankara aufgebaut.

Piri wies darauf hin, dass die türkische Regierung jegliche Entscheidungen und Empfehlungen des Europarates ignoriere. Auch unterstrich sie die negative Gesamtentwicklung der Türkei, welche sie in ihrem Bericht ausführlich dargelegt habe. Als Beispiel nannte sie die Haftstrafe gegen den Kulturmäzen Osman Kavala, der sich seit 17 Monaten in Haft befinde.

EU: Aktuell sind die Verhandlungen ohnehin gestoppt

Nach Piri sprach die im Rahmen der rumänischen EU-Ratspräsidentschaft die verantwortliche Ministerin für EU-Angelegenheiten Melania Gabriela Ciot. „Es ist richtig, dass sich die Türkei immer weiter von der EU entfernt. Die Verhandlungen sind ohnehin praktisch gestoppt“, erklärte sie. Ciot ergänzte, sie werde die Berichte und Äußerungen des Europaparlaments am Freitag mit den EU-Mitgliedsstaaten besprechen und auch an die türkischen Verantwortlichen weiterleiten.

Johannes Hahn, Mitglied der Europäischen Kommission mit Zuständigkeit für die Europäische Nachbarschaftspolitik, erklärte, er habe große Sorgen über die Entwicklung der Türkei. Er beobachte die Entwicklungen genau und erklärte: „Unsere Hilfe gilt ab jetzt der Zivilgesellschaft und ihren Vertretern. Wir werden ihre Forderung beachten und an die Betreffenden weitergeben.“

Renata Sommer von der PPE erklärte: „Das Erdoğan-Regime tritt den Rechtsstaat, die Menschenrechte und die Demokratie mit Füßen. Die Verhandlungen mit der Türkei müssen beendet werden.“ Auch die Sprecher*innen der sozialistischen und liberalen Fraktion brachten scharfe Kritiken in Bezug auf die Menschenrechtslage in der Türkei vor.

Besetzung von Efrîn und Grüße an die Hungerstreikenden

Im Namen der Grünenfraktion erklärte Boldel Valero: „Die Besetzung von Efrîn kann nicht vergessen werden. Das ist nichts, wovor man einfach die Augen verschließen kann.  Wir sind es den Kurden schuldig, die den Norden und Nordosten von Syrien vom IS, von den Dschihadisten gesäubert haben, sie zu schützen.“

Joly Word von der sozialdemokratischen Fraktion erklärte, ihre Fraktion habe die Mitgliedschaft der Türkei von Anfang an unterstützt und sie sei immer noch bereit, dies zu tun. Allerdings werde weder sie noch ihre Fraktion das Vorgehen gegen das kurdische Volk und andere Minderheiten, die Inhaftierung der Opposition und gewählten Vertreter*innen sowie die Isolation jemals akzeptieren. Word erklärte: „Wenn Leyla Güven und die Aktivist*innen in Straßburg für die Aufhebung der Isolation von Herrn Öcalan in den Hungerstreik treten, dann zeigt das, wie gravierend die Situation ist und dass ihnen kein anderer Weg mehr geblieben ist, das Recht zu suchen.“

Eleonora Forenza von der linken Fraktion im EU-Parlament berichtete, dass sie vor kurzem nach Kurdistan und in die Türkei gereist war und dabei daran gehindert wurde, die inhaftieren ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP zu besuchen. Sie erklärte, sie identifiziere sich mit dem Widerstand des kurdischen Volkes und habe den Hungerstreik in Straßburg besucht. Sie grüßte die Hungerstreikenden.

Ana Miranda von der Grünen Fraktion trug einen grün-gelb-roten Schal und erinnerte in ihrer Rede an Leyla Güven. Sie erklärte, man „darf das kurdische Volk und die demokratischen Türken nicht Erdoğans Händen überlassen.“