Die türkische Kriegsmaschinerie, die sich rühmt, über das zweitgrößte NATO-Heer zu verfügen, ist ständig auf neues Kanonenfutter angewiesen. Zur Zwangsrekrutierung junger Männer werden alle Mittel eingesetzt. Kriegsdienstverweigerer in der Türkei werden über Jahrzehnte verfolgt und mit Geld- und Haftstrafen und weiterer Repression überzogen. Reha Eskidir ist einer von ihnen. Eskidir hatte am 1. September 2012 bei einer Friedenskundgebung in Istanbul-Kadiköy verkündet, dass er nicht zum Militär gehen werde. Seit zehn Jahren wird er wie viele andere als Kriegsdienstverweiger verfolgt.
Zuletzt wurde im Oktober 2021 ein Verfahren wegen Verweigerung gegen ihn eröffnet und er wurde zu fünf Monaten und 18 Tagen Haft verurteilt. Das Urteil wurde auch nach Widerspruch ohne Neubewertung bestätigt. Aufgrund einer Erkrankung wurde seine Freiheitsstrafe verschoben, nun soll er am 30. November seine Haft antreten.
„Jede Personalienkontrolle bedeutet ein neues Verfahren“
Gegenüber ANF äußert sich Eskidir wie folgt zu dem Urteil und der Behandlung von Kriegsdienstverweigerern in der Türkei: „Ich bin seit 2012 Kriegsdienstverweigerer. Nach dem Putschversuch vom 15. Juli (2016) war mein Militärdienststatus bei Kontrollen nicht mehr sichtbar. Dann aber tauchte er wieder auf. In einem solchen Fall gibt es ein Dokument, das man bei der Militärdienststelle unterschreiben muss. Wenn man es nicht unterschrieben hat, wird das bei Personalienkontrollen sichtbar. Aber da wir dies grundsätzlich ablehnen, gehen wir natürlich nicht dorthin und werden zu Kriegsdienstverweigerern. Und da wir nicht hingehen, wird dies nach jeder Personalienkontrolle zu einem neuen Verfahren.“
So findet eine Mehrfachverurteilung nach jeder Personalienkontrolle für das gleiche „Vergehen“ statt. Eskidir berichtet, dass sein Verfahren widerrechtlich verlaufen ist: „In meinem Verfahren habe ich mich an das Berufungsgericht gewandt. Normalerweise hätte dieses Verfahren nach dem einfachen Gerichtsverfahren in die Berufung gehen müssen, nicht in die Revision. Das Berufungsgericht hob das Urteil nicht auf und verwies es zurück an das Amtsgericht. Es sollte mir einen Anhörungstermin geben und mich erneut vor Gericht stellen, aber stattdessen wurde das Urteil endgültig rechtskräftig gemacht. Das ist widerrechtlich. Natürlich werden wir dagegen Einspruch erheben.
Mehrfachverurteilungen als Mittel der Repression
Ich werde auch von meinem Recht auf Individualbeschwerde vor dem Verfassungsgericht Gebrauch machen, denn während eine Person normalerweise nur einmal für eine Straftat verurteilt werden kann, werden wir mehrfach verurteilt.“ So berichtet Eskidir, dass er noch zwei weitere Verfahren wegen desselben „Vergehens“ hatte, und diese zusammengelegt worden seien. Er erinnert daran, dass beim Kriegsdienstverweigerer Inan Mayis Aru sechs solcher Verfahren zusammengelegt wurden, und sagt: „Sie benutzen alle möglichen hinterhältigen Methoden, um uns einzuschüchtern.“
Jedes Jahr neue Geldstrafen
Aufgrund der Verfolgung kann er seit zehn Jahren nicht angemeldet arbeiten und auch nicht reisen, erklärt Eskidir und führt aus: „Ich kann seit Jahren keinen Job mit Versicherung annehmen und habe auch nicht mehr danach gesucht. Wenn Sie eine versicherte Stelle bekommen, erhält Ihr Arbeitgeber nach ein oder zwei Monaten ein Schreiben, in dem steht, dass er einen Kriegsdienstverweigerer beschäftig. Natürlich entlässt der Arbeitgeber Sie dann. Weil ich das weiß, arbeite ich auf dem Bau.
Bankkonten werden gesperrt, das Verlassen der Stadt unmöglich
Darüber hinaus wurden die Bankkonten einiger Freunde gesperrt. Für jedes Jahr, in dem wir keinen Militärdienst leisten, müssen wir eine Strafe von 1.100 TL zahlen. Ich weiß nicht genau, was bei dieser Inflation passiert ist, aber meine Schulden beliefen sich auf 30.000 Lira, ich weiß nicht, wie hoch sie jetzt sind. Und da wir diese Verwaltungsstrafe nicht bezahlen, werden wir ins Gefängnis gesteckt oder bedroht. Darüber hinaus wird auch unser Recht auf Bewegungsfreiheit blockiert, weil es am Eingang jeder Stadt Polizeikontrollen gibt und hier Bußgelder gegen Kriegsdienstverweigerer verhängt werden. Deshalb verlassen viele Betroffene nicht mehr die Stadt, in der sie leben.“