Rechtsanwalt Şeker: Den Kampf nicht den Gefangenen überlassen

Rechtsanwalt Bünyamin Şeker vertritt die Auffassung, dass die Menschen außerhalb der Gefängnisse mehr tun sollten, als sich mit dem Hungerstreik zu solidarisieren. Es geht nicht nur um Öcalan, sondern um die gesamte Türkei.

Der Hungerstreik politischer Gefangener in der Türkei dauert seit über zwei Monaten an. Am 27. November sind die ersten PKK- und PAJK-Gefangenen mit der Forderung nach Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, der von wechselnden Gruppen getragen wird. Rechtsanwalt Bünyamin Şeker verfolgt die Lage in den Gefängnissen und hat sich im ANF-Interview dazu geäußert. Der Ko-Vorsitzende des Vereins „Juristen für Freiheit“ (ÖHD) vertritt die Auffassung, dass die Menschen außerhalb der Gefängnisse mehr tun sollten, als sich mit dem Hungerstreik zu solidarisieren. Sie sollten sich fragen, was der Hintergrund ist und was sie selbst damit zu tun haben, dass schon wieder ein Hungerstreik in den Gefängnissen stattfinden muss.

Wieviele Personen sind im Hungerstreik?

Da er im Wechsel stattfindet, ist es schwierig, die genaue Anzahl zu verfolgen. Wir wissen jedoch, dass momentan in 107 Gefängnissen ein Hungerstreik stattfindet.

Bei den Aktionen in der Vergangenheit wurde in den Medien wenig über die Haltung der Vollzugsleitungen berichtet. Wie ist das heute?

Gegen die hungerstreikenden Gefangenen werden Disziplinarverfahren eingeleitet. Sie werden von den anderen Gefangenen isoliert und in Einzelzellen gesteckt. Dieses Problem besteht vor allem in den Gefängnissen Nr. 1 und 2 in Diyarbakir.

Wie nehmen Sie die Entwicklungen zum Hungerstreik wahr?

Was die Gefangenen fordern, geht die gesamte Gesellschaft etwas an. Bei früheren Hungerstreiks gab es den Aufruf der demokratischen Öffentlichkeit, die Aktion ohne Tote zu beenden: „Eure Forderungen betreffen die gesamte Gesellschaft und als gesellschaftliche Opposition werden wir den uns zufallenden Part erfüllen, damit die Forderungen umgesetzt werden.“ Dass die Isolation von Herrn Öcalan weiter verschärft worden ist, die staatlichen Operationen gegen die Gesellschaft fortgesetzt werden und die gesamte Opposition mit repressiven Maßnahmen konfrontiert ist, zeigt ja, dass dieser Part eben nicht erfüllt worden ist.

Hätte es anders kommen können, wenn die demokratischen Massen einen anderen Weg eingeschlagen hätten?

Es hätte nicht zu einem weiteren Hungerstreik kommen müssen. Die Gefangenen finden eingesperrt zwischen vier Wänden keine andere Alternative, ihre Forderungen zum Ausdruck zu bringen. Leider bringen sie sich mit dieser Methode zum Ausdruck. Sie sagen damit: „Auch wir haben etwas zur Agenda der Türkei zu sagen. Während so viele Operationen stattfinden und Menschen verhaftet werden, ist das unsere Form, uns Gehör zu verschaffen.“ Die Menschen draußen sollten sich nicht nur mit den Hungerstreikenden solidarisieren. Sie sollten sich fragen, was die Forderungen der Gefangenen sind, warum dieser Hungerstreik stattfindet und was sie falsch gemacht oder unterlassen haben, dass schon wieder eine solche Aktion gestartet worden ist. Die Angelegenheit sollte aus dieser Perspektive betrachtet werden. Aber es gibt natürlich auch Bemühungen von Massenorganisationen in dieser Hinsicht.

Es heißt ja immer, dass die Isolation auf alle Kurden ausgeweitet worden ist. Wie bewerten Sie die Isolation auf Imrali?

Es ist ein Irrtum, nur einen Zusammenhang mit Nordkurdistan und den Kurdinnen und Kurden zu sehen. Man muss die gesamte Türkei im Blick haben. Die Repression richtet sich nicht nur gegen Kurden. Isolation bedeutet, dass die Gesellschaft unterdrückt wird. Die Gesellschaft bekommt vielleicht das repressive Vorgehen gegen die HDP mit, aber die anderen demokratischen Gruppen können sich kein Gehör in der Öffentlichkeit verschaffen. Man darf die Isolation nicht auf Herrn Öcalan reduzieren. Das ist es ja eigentlich, was das System will. Wir dürfen nicht in diese Falle tappen. Herr Öcalan wird seit 22 Jahren isoliert. Die Isolation hat nie aufgehört. Vor allem seit 2011 wird er von der Gesellschaft abgesondert. Von Zeit zu Zeit gab es Lockerungen und es haben Kontakte zu Anwälten oder Angehörigen stattgefunden. Innerhalb von 22 Jahren konnte er nur ein Mal sein Recht auf telefonische Kommunikation wahrnehmen. Auf der anderen Ebene muss man jedoch die gesamte Öffentlichkeit in der Türkei im Blick haben. Man muss die Türkei sehen. Deshalb hat dieser Hungerstreik angefangen. Die gesamte Opposition ist inzwischen im Gefängnis.