„Rassistische Angriffe in Seyhan waren organisiert“

In Seyhan kam es zu rassistische Hetzjagden auf Schutzsuchende aus Syrien. Die syrischen Bewohner*innen in der Stadt fürchten um ihr Leben.

In dem bevölkerungsreichsten Stadtbezirk Seyhan in Adana hat am 19. September eine aufgebrachte Menschenmenge syrische Geschäfte angegriffen. Der Welle von Hetzjagden und Angriffen war ein Gerücht über den sexuellen Missbrauch eines elfjährigen Kindes durch einen syrischen Flüchtling vorangegangen. Zwei Tage später erklärte der Provinzgouverneur, dass der 15-jährige A.K. als dringend tatverdächtig festgenommen wurde. Es handele sich jedoch um einen türkischen Staatsbürger. Dennoch gingen die Angriffe auf syrische Flüchtlinge weiter und die Bewohner*innen des Stadtviertels forderten, dass die Flüchtlinge ihre Nachbarschaft verlassen.

Laut Angaben des Innenministeriums leben in Adana 238.234 Menschen aus Syrien. Die Mehrheit der Syrer*innen lebt im Kreis Seyhan in den Vierteln Kocavezir, Meydan, Mirzaçelebi und Gülpınar. In den Vierteln leben neben den Syrer*innen Türk*innen, Araber*innen, Kurd*innen und Roma.

Lynchjagd auf Syrer

Schutzsuchende aus Syrien dienen vielen als Sündenböcke für die ökonomische Krise in der Türkei, so kommt es immer wieder zu Hetzjagden auf sie. Seit dem 19. September wurden in Adana fast 200 Wohnungen und Läden von Syrer*innen und sechzig Fahrzeuge zerstört. Bei den Hetzjagden wurden 70 Personen festgenommen. Tausende Polizisten haben die Stadtviertel abgesperrt. An den zerstörten Läden wurden türkische Fahnen angebracht und nationalistische Parolen gesprüht. Manche Menschen hängten aus Angst sofort türkische Fahnen an ihren Geschäften auf.

Die Polizei hat nichts gemacht“

Syrische Einwohner*innen des Viertels erklärten gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya: „Was ist unser Verbrechen? Wir wissen es nicht. Warum lasten sie das, was geschehen ist, uns allen an? Das ist Unrecht.“ Viele Syrer*innen machten deutlich, dass sie um ihr Leben fürchten, insbesondere weil die Angriffe von Personen aus anderen Vierteln unter den Augen der Polizei geschehen seien.

Muhammed Hasan Beker aus Syrien betreibt seit vier Jahren einen Laden im Viertel. Er berichtet: „Sie schrien: ‚Syrer raus.‘ Bei mir gibt es 20.000 TL (etwa 3.166 Euro) Sachschaden. Die Polizei hat nicht eingegriffen, als der Laden angegriffen wurde. Wenn Syrer unerwünscht sind, gehen wir.“

IHD: „Es gibt einen Hassdiskurs, der in Gewalt umschlägt“

Ilhan Öngör, Vorsitzender der Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD in Adana, sagte zu den Ereignissen: „Ähnliche Ereignisse sexuellen Missbrauchs oder von Diebstahl werden in den sozialen Medien, aber auch im Fernsehen und der Zeitung immer wieder Menschen aus Syrien angelastet. Diese Art der Nachrichtenvermittlung hat in der Gesellschaft einen Hassdiskurs und ein Gefühl von Hass auf Syrer geschaffen. Dieser Hassdiskurs schlug in Adana in Gewalt gegen Menschen aus Syrien um. Das ist besorgniserregend. Insbesondere die Anschuldigungen gegen die Sicherheitskräfte, nicht ausreichend interveniert zu haben, erregen große Bedenken. Wir brauchen eine Politik, die das Zusammenleben der Bürger der Türkei mit denen aus Syrien fördert und die Kriegsopfer und Flüchtlinge aus Syrien aus einem emphatischen und menschlichen Blickwinkel betrachtet. Es ist insbesondere die Aufgabe des Staates, für gesellschaftlichen Frieden zu sorgen und solche Ereignisse zu verhindern. Die Flüchtlinge aus Syrien sind keine Handelsware auf dem internationalen Parkett.“