Publizist und Verleger Muzaffer Ilhan Erdost verstorben

Der Publizist Muzaffer Ilhan Erdost ist nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren verstorben. In seinem Verlag erschienen Schriften des wissenschaftlichen Sozialismus, unter anderem die erste vollständige türkische Übersetzung von „Das Kapital“.

Der türkische Verleger und Publizist Muzaffer Ilhan Erdost ist im Alter von 87 Jahren an einer Hirnblutung infolge seiner chronischen Leukämieerkrankung in einem Krankenhaus in Ankara verstorben. Heute Mittag wird er auf dem Karşıyaka-Friedhof beigesetzt.

Der Gründer des linken Verlagshauses Sol Yayınları (türk. „Linke Publikationen“) wurde 1932 als Muzaffer Erdost in Artova-Tokat geboren. Den zusätzlichen Vornamen nahm er nach dem Tod seines jüngeren Bruders Ilhan am 7. November 1980 an. An dem Tag wurden beide verhaftet und in das Militärgefängnis Mamak verbracht. Ilhan Erdost starb noch am selben Abend an den Folgen der Folter im Gefängnis.

Knapp zwei Monate vor dem Tod Ilhans hatte sich die türkische Armee am 12. September 1980 an die Macht geputscht. Der „Operation zum Schutz und zur Sicherung der Republik“ folgten Massenverhaftungen, Todesurteile und Folterungen. Während der Militärdiktatur wurden mindestens 650.000 Menschen bei sogenannten „Säuberungsaktionen der Gesellschaft“ festgenommen, tausende politische Gefangene gefoltert, mehr als 7.000 Todesstrafen beantragt, von denen offiziellen Angaben zufolge 571 verhängt und 50 vollstreckt wurden. In 171 Fällen wurde Tod durch Folter nachgewiesen, die tatsächliche Zahl liegt weit höher. Auch die kurdische Revolutionärin Sakine Cansız, die im Januar 2013 gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen Fidan Doğan und Leyla Şaylemez mitten in Paris von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes ermordet wurde, war während der Junta in einem Militärgefängnis inhaftiert und erlebte schwere Folter.

Muzaffer Ilhan Erdost arbeitete nach seinem Studium der Veterinärmedizin an der Universität Ankara, ab 1958 bis 1963 bei der Tageszeitung Ulus. In seinem ersten Jahr bei Ulus gründete er seinen Verlag Açık Oturum („Offene Gesprächsrunde“), wo er als erstes Buch Henri Allegs La Question herausgab. Zwischen 1963 und 1965 leistete er als Veterinärmediziner im Range eines Offiziersanwärters seinen Militärdienst in der nordkurdischen Stadt Şemzînan (Şemdinli) in der Provinz Colemêrg (Hakkari). Nach dem Ende seiner Zeit bei der türkischen Armee kam er in Kontakt mit dem Marxismus und gründete Sol Yayınları. In dem Verlag erschienen die ersten vollständigen Übersetzungen in türkischer Sprache der Schriften des wissenschaftlichen Sozialismus und Kommunismus und der deutschen Arbeiterbewegung. Dazu gehören neben Ausgaben von Marx, Engels und Lenin und Literatur über den Marxismus-Leninismus auch das Manifest der Kommunistischen Partei. Werke von Hegel, Gramsci, Darwin, Mao, Huberman und anderen erschienen ebenfalls im Verlag von Erdost.

Er selbst schrieb neben Essays und Gedichten, Kritiken, Reportagen und Tagebüchern auch Analysen wie beispielsweise „Die Produktionsbedingungen der Stämme in Şemdinli“. Im Jahre 1996 geriet Muzaffer Ilhan Erdost aufgrund seiner Publikationen in Konflikt mit der Justiz. Sein Werk Üç Sivas („Drei Sivas”) wurde verboten.

Kurz nach dem zweiten Militärputsch in der Türkei am 12. März 1971 wurde Erdost zu 37,5 Jahren Haft verurteilt. Das Gefängnis konnte er 1974 aufgrund einer Amnestie verlassen.

Muzaffer Ilhan Erdost zählt zu den Mitbegründern der türkischen Menschenrechtsorganisation „Türkiye İnsan Hakları Kurumu Vakfı“ (TİHAK) und war bis zuletzt deren Vorsitzender. Auf dem Karşıyaka-Friedhof wird er neben seiner Frau Rana Erdost (gest. 2013) beigesetzt, die ebenfalls Publizistin war.