Proteste gegen Angriffe auf Rojava dauern an

Der fortgesetzten Angriffswelle der Türkei gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien widmeten sich auch am Sonntag zahlreiche Demonstrationen, darunter in Deutschland, Italien, Polen, Frankreich und der Schweiz.

Der fortgesetzten Angriffswelle der Türkei gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien widmeten sich auch am Sonntag zahlreiche Demonstrationen, nicht nur in Deutschland. In verschiedenen europäischen Städten gingen zahlreiche Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität mit der angegriffenen Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen, aber auch die internationale Untätigkeit und Ignoranz dem türkischen Bestreben in Rojava gegenüber anzuprangern.

Leipzig: Vereint die Frauenrevolution in Rojava verteidigen

In Leipzig etwa rief das Rojava-Solibündnis gemeinsam mit der Kampagne Women Defend Rojava zu einer Demonstration durch die Innenstadt auf. Der am Willy-Brandt-Platz mit mehreren hundert Teilnehmenden gestartete Protestzug stand unter dem Motto „Vereint die Frauenrevolution in Rojava verteidigen“ und glich einem gelb-rot-grünen Fahnenmeer – die Farben Kurdistans. Unter den Demonstrierenden waren neben Kurdinnen und Kurden auch viele Menschen aus dem internationalistischen, antifaschistischen und linken Spektrum, die sich dem sozialrevolutionären „Projekt“ Rojava wegen seines feministischen und rätedemokratischen Selbstverständnisses, aber auch wegen des jahrelangen Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS) verbunden fühlen.

Durchgängig wurden in allen Teilen des Protestzuges Sprechchöre gerufen. „Es lebe der Widerstand von Rojava“ und Terrorist Erdoğan“, aber auch „Bijî Serok Apo“ (Es lebe der Vorsitzende Apo) – gemeint ist Abdullah Öcalan, Vordenker des demokratischen Konföderalismus, auf dessen Basis die Revolution in Rojava geschaffen wurde – hallte es immer wieder durch die Leipziger Innenstadt. In Redebeiträgen und Botschaften, die unter anderem von der feministischen Organisierung „Gemeinsam kämpfen!“, der Frauenorganisation ZORA Leipzig und Kongra Star, dem Dachverband der Frauenbewegung in Nord- und Ostsyrien kamen, wurde betont, dass der türkische Staat Kriegsverbrechen begehe und Zivilpersonen „massakriere“, die internationale Gemeinschaft jedoch schweige.


„Auch die Medien geben keinen Ton von sich“, kritisierte das Rojava-Solibündnis und wies darauf hin, dass so gut wie die gesamte Infrastruktur Nord- und Ostsyriens bereits in den ersten drei Tagen der am 5. Oktober gestarteten Angriffswelle von der türkischen Armee in Schutt und Asche gebombt wurde und sich unter den knapp fünfzig Todesopfern auch Zivilpersonen befänden, darunter Frauen und Kinder. Angeklagt wurden auch die deutschen Waffenlieferungen an die Türkei: „Die deutsche Politik tut nichts, außer händeschüttelnd Waffen zu liefern. Wir müssen damit rechnen, dass die Türkei ihre Angriffe weiter verschärft und auch eine Bodenoffensive ist nicht auszuschließen. Die Revolution in Rojava wird massiv bedroht und angegriffen. Jetzt ist es Zeit sie zu verteidigen, den deutschen Staat für seine Kooperation zur Rechenschaft zu ziehen und als widerständige, demokratische und revolutionäre Bewegungen zusammen zu kommen. Denn die Revolution in Kurdistan steht für den Aufbau einer basisdemokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft weltweit. Für diese gehen auch wir auf die Straße, daher ist ein Angriff auf Rojava, ein Angriff auf uns alle“, hieß es weiter in dem Beitrag.

Demonstration in Turin

In der italienischen Großstadt Turin hatte die „Comunità Kurda in Italia“ (Kurdische Gemeinde Italien) zusammen mit der italienischen Ausgabe der Kampagne „Defend Kurdistan“ zu einer Demonstration gegen den türkischen Staatsterror in Rojava aufgerufen. Auf einem großen Fronttransparent waren die zentralen Forderungen und Botschaften der Veranstalterinnen zu lesen: Solidarität mit dem kurdischen Volk gegen den Erdoğan-Faschismus ist das Gebot der Stunde, Flugverbotszone über Rojava und Freiheit für Abdullah Öcalan.


Die Zusammenkunft begann mit einer Kundgebung auf der zentralen Piazza Castello, auf der kämpferische Reden gehalten wurden. Mit dabei war auch die Journalistin Laura Schrader. Die 85-Jährige, die sich seit bald einem halben Jahrhundert mit der kurdischen Frage auseinandersetzt und eine politische Lösung fordert, erklärte, dass der Krieg der Türkei gegen Nord- und Ostsyrien nichts anderes als ein versuchter Genozid sei. „Die Verhinderung jeglicher kurdischen Selbstbestimmung, ob vor oder hinter der Grenze, zählt seit jeher zur Staatsräson in der Türkei“, sagte Schrader. Nur eine politische Lösung für die Kurdistan-Frage könne das Ende der Kriege und Konflikte in der Region einläuten. „Dafür muss zunächst einmal die schwere Isolation von Abdullah Öcalan aufgehoben werden, weil er der einzige Gesprächspartner für Verhandlungen ist. Wir müssen uns vereint dafür einsetzen, dass er freikommt und einen Lösungsprozess in die Wege leitet“, forderte Schrader.

Die anschließende Demonstration führte über die Via Po bis zur Via Maria Vittoria. Viele Teilnehmende schwenkten Fahnen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) aus Rojava und riefen Parolen wie „Es lebe die Rojava-Revolution“ und „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit), im Wechsel zu Liedern. Am Rande des Protestzugs verteilten Aktive der Kurdistan-Solidarität Flyer über die Hintergründe der Demonstration und die kriegsbedingte Lage in Nord- und Ostsyrien.

Eine Kundgebung mit Demonstration in der französischen Großstadt Nizza richtete sich sowohl gegen die Angriffe auf die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien als auch die Isolation von Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali festgehalten wird.


Breslau: Konfrontation mit dem türkischen Faschismus suchen

In der polnischen Stadt Breslau haben Internationalist:innen als Zeichen des Protests das „Anonyme Passanten-Denkmal“ umgedeutet. Das 2005 enthüllte Denkmal von Jerzy Kalina zeigt eine Gruppe lebensgroßer menschlicher Figuren, die zu beiden Seiten der Straße Świdnicka stehen. Die Figuren verschwinden allmählich unter der Oberfläche des Bodens auf der einen Straßenseite und tauchen auf der anderen Seite wieder auf. Die Breslauer Aktivist:innen legten ihnen Fahnen der YPG, YPJ und PKK sowie Transparente an und bedeckten sie teilweise mit Kefiye-Tüchern der kurdischen Guerilla. In einem Statement erklärte die Gruppe:

„Die Türkei hat eine umfangreiche Bombardierungswelle gegen Nord- und Ostsyrien, auch bekannt als das autonome Rojava, gestartet. Ziele dieser Überfälle sind Dörfer, Städte, zivile Infrastruktur, einschließlich Kraftwerke, Krankenhäuser und Tankstellen. Die Luftangriffe führen zu Todesopfern und der Verstümmelung von Menschen, einschließlich Kindern. Hunderttausende haben keinen Zugang zu Strom und Wasser, dabei entzieht die Türkei den Einwohnern dieser Region durch ihre Staudammpolitik bereits seit Jahren das Recht auf Wasser. Die humanitäre Katastrophe ist längst in vollem Gange, doch die internationale Gemeinschaft zeigt keine Reaktion.

Die derzeitigen Angriffe stellen eine Verschärfung des Krieges dar und sind eine weitere Etappe auf dem Weg zum Völkermord des türkischen Regimes an Kurdinnen und Kurden und anderen Gemeinschaften, die sich für Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung und Ökologie einsetzen. Unverkennbar ist ihr bedeutender Widerstand gegen diesen Völkermord, ob in Nord- und Südkurdistan, im Irak, aber auch in Armenien. Dazu gehört auch die Standhaftigkeit der Guerillakräfte in den kurdischen Bergen, dazu gehören demokratische Initiativen in der Türkei. Im Kern wird dieser Widerstand jedoch angeführt von den Menschen im Nordosten Syriens, die unter den schwierigsten Bedingungen, die Kriege eben mit sich bringen, eine Demokratie aufgebaut haben. Demokratie-Kräfte und Antikriegsbewegungen müssen weltweit eine entscheidende Rolle in diesem Widerstand spielen und sich gegen die Angriffe vereinen.

Es reicht jedoch nicht aus, nur zu reagieren. Was benötigt wird, ist eine aktive Konfrontation mit dem türkischen Faschismus und seinen Kollaborateuren und Unterstützern, wo immer sie sind. Wir rufen alle solidarischen Gruppen, Menschen und Initiativen auf, aktiv zu werden, gemeinsam gegen die Angriffe der Türkei und die internationale Komplizenschaft dafür zu kämpfen und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um die türkischen Kriegsverbrechen zu stoppen.

Vor einem Jahr handelten polnische Behörden im Auftrag des faschistischen Regimes in Ankara. Mit brutaler Gewalt überfielen sie die Wohnungen und Arbeitsplätze von rund fünfzig kurdischen Aktivist:innen – Methoden, die denen des türkischen Staates ähneln. Präsident Duda liegt in den Armen von Kriegsverbrecher Erdogan und es wird befürchtet, dass Kaczyński bei der Zerstörung der Demokratie in Polen dem Beispiel des türkischen Diktators folgen wird.

Wir wollen nicht in einem autoritären Staat leben, der Völkermord und faschistische Regime unterstützt. Wir appellieren an alle demokratischen Kräfte in Polen, ihr Schweigen zu brechen und das Wort für Rojava zu ergreifen. Im Jahr 2019 haben Lewica Razem und Grüne die türkischen Verbrechen noch abgelehnt. Seiter sind vier Jahre vergangen, und alle politischen Parteien hüllen sich in Schweigen.

Wir wissen nur zu gut, dass es zur Normalität politischer Parteien und ihren Handelnden gehört, kämpfende Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Deshalb rufen wir in erster Linie zur Unterstützung der Basis auf – für Rojava, für die Kurdinnen und Kurden, die im Widerstand für Demokratie sind, und gegen jegliche Völkermorde. Boykottieren wir türkische Produkte und Feiertage. Unterstützen wir die demokratische Opposition in der Türkei.“

Spontandemo in Zürich mit „Kill Erdogan“-Banner

In Zürich fand bereits in der Nacht zum Samstag eine Demonstration der Widerstandsvernetzung Schweiz statt, der auch die Kampagne ‚RiseUp4Rojava angehört. Die Aktivist:innen führten ein großes Transparent mit der Aufschrift „Kill Erdogan“ bei ihrem Spaziergang durch das Zentrum Zürichs mit sich und zündeten Bengalfeuer. Dazu erklärten sie: „Wir haben uns spontan die Straße genommen, um gegen die Angriffe des türkischen Faschismus auf Rojava zu protestieren. Die jüngsten Angriffe sind gekennzeichnet durch massives Bombardement aus der Luft. Unter der Schirmherrschaft der imperialistischen Mächte, allen voran der USA und der Nato, greift die Türkei die zivile Infrastruktur an. Bombardiert wurde von der Wasserversorgung bis hin zu Spitälern alles. Dies zeigt die Mitverantwortung und Kollaboration der westlichen Mächte mit dem türkischen Faschismus auf. Gegen diese Komplizenschaft und das Schweigen hier heißt es zu kämpfen. Wir positionieren uns klar auf der Seite der unterdrückten Völker und der revolutionären Bewegung vor Ort. Die Verantwortlichen sind auch hier bei uns zu finden und ihnen ist dementsprechend zu begegnen.“