Anlässlich des Beginns des neuen Bildungsjahres ist in zahlreichen Städten der Türkei für die Einführung von Kurdisch als Amts- und Bildungssprache demonstriert worden. Aufgerufen zu den von der Kurdischen Sprachplattform und dem Netzwerk für Sprache und Kultur initiierten Veranstaltungen hatte ein Bündnis aus 24 politischen Parteien, NGOs, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, darunter die HDP und DBP, die Architekten- und Ingenieurskammer (TMMOB), die Frauenbewegung TJA, diverse Kulturvereinigungen sowie der Demokratische Gesellschaftskongress (KCD). Sie sehen in der verweigerten Erwerbung eines offiziellen Rechtsstatus für die kurdische Sprache eines der konkretesten Beispiele des seit der Staatsgründung allgemein gültigen Konzepts der vorherrschenden Politik, die Kurdinnen und Kurden ihrer Existenz, Kultur und Identität zu berauben, und durch Assimilation und Integration die absolute Herrschaft über sie herzustellen.
Politik der Verleugnung, Verleumdung und Diskriminierung
Proteste fanden nicht nur in kurdischen Städten wie etwa Şirnex, Dersim, Wan, Riha (tr. Urfa) oder Mûş statt. Auch in türkischen Metropolen mit einem hohen kurdischen Bevölkerungsanteil, darunter in Izmir, Hatay, Mersin und Ankara, wurde unter dem gemeinsamen Motto „Bila Kurdî bibe zimanê fermî u zimanê perwerdehîyê“ für das Anliegen demonstriert, das Kurdische als offizielle Sprache in Ämtern einzuführen und es als Bildungssprache einzuführen.
Kundgebung in Wan
„Millionen kurdischer Schülerinnen und Schüler werden Kurdisch auch im neuen Bildungsjahr vergeblich als muttersprachliches Pflichtfach auf den Lehrplänen suchen“, stellte die Ko-Vorsitzende des HDP-Kreisverbands von Cizîr, Zilan Ecevit, bei der Kundgebung in Şirnex fest. Diese „Politik der Verleugnung, Verleumdung und Diskriminierung“, wie Ecevit den Zustand beschrieb, dass ein Staat „aus Feindlichkeit heraus“ einem Volk sein legitimes Recht auf Muttersprache verweigert, ziehe sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche des öffentlichen Lebens und mache sich immer wieder auf eine neue Weise bemerkbar.
Die Basis dessen ist auf das Idealbild der Republikgründer und ihren Erbfolgern zurückzuführen, das auf „ein Land, ein Volk, eine Nation, eine Sprache, eine Geschichte, eine Religion und eine Klasse“ lautet. Noch 1979 hieß es im offiziellen Wörterbuch der amtlichen Sprachgesellschaft der Türkei („Türk Dil Kurumu“) zur Erklärung des Wortes „Kurde“: „Name einer Gemeinschaft oder Angehöriger dieser Gemeinschaft türkischer Herkunft, die ihre Sprache verloren hat, eine degenerierte Form des Persischen spricht und in der Türkei, im Irak und Iran lebt.“
„Es geht um Millionen Menschen, denen die Assimilation auferlegt wird“, betonte Zilan Ecevit und rief die Öffentlichkeit zum Handeln auf. In erster Linie die Kurdinnen und Kurden in den vier Nationalstaaten Türkei, Syrien, Iran und Irak, aber auch jene in der Diaspora sowie allgemein „Menschen mit intaktem Sinn für Grundrechte“ appellierte die Politikerin: „Lasst uns eine Mobilmachung für die Verteidigung und Existenz der kurdischen Sprache beginnen. Der Widerstand für den Erhalt der Sprache muss intensiviert und ausgeweitet werden. Nur so können wir verhindern, dass Kurdisch aus weiten Teilen unserer historischen Siedlungsgebiete verschwindet.“
Jahrzehntelang verboten
Die kurdische Sprache gehört weltweit zu den wenigen Sprachen, deren Nutzung jahrzehntelang als Straftat galt und deshalb geahndet wurde. Bis 1991 war in der Türkei ein striktes Sprachverbotsgesetz in Kraft, das Kurdisch in allen Lebensbereichen unter Strafe stellte – ein Verbot kurdischer Namen miteingeschlossen. Zwar wurde das Gesetz aufgehoben und die Reformpakete im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen ließen zunächst eine gewisse Lockerung erhoffen. Doch in der Praxis wird die kurdische Sprache weiter diskriminiert und ihre Nutzer:innen werden mit Repression überzogen. Auch das 2013 offiziell abgeschaffte Verbot der Buchstaben Q, W und X aus dem kurdischen Alphabet dauert faktisch an.