Protest gegen Abschiebung von Kurd:innen aus Timmendorfer Strand

Dutzende Organisationen protestieren in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die Abschiebung von zwei kurdischen Familien aus der schleswig-holsteinischen Gemeinde Timmendorfer Strand. Aus Kroatien droht die Kettenabschiebung in die Türkei.

Dutzende Organisationen protestieren in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die Abschiebung von zwei kurdischen Familien aus der schleswig-holsteinischen Gemeinde Timmendorfer Strand. Zwei Frauen und neun Kinder wurden am Mittwoch nach Kroatien abgeschoben, der Familienvater Fazil Ü. sprang im Zuge des Polizeieinsatzes vom Balkon und ist im Krankenhaus.

In der Erklärung der Organisationen heißt es:

Am Morgen des 19. April hat sich die Polizei in Timmendorfer Strand gewaltsam Zugang zu zwei Wohnungen verschafft. Betroffen sind die Familien der Brüder Fazil Ü. und Ayhan Ü. Die Familien sind kurdischer Herkunft, besitzen jedoch die türkische Staatsangehörigkeit und haben bereits vor über einem halben Jahr einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde im Rahmen eines eingeleiteten Dublinverfahrens abgelehnt und die Abschiebung nach Kroatien angeordnet. An diesem Morgen sollten sie abgeschoben werden.

Um 6:00 Uhr morgens wurden die Familien von einem lauten Krach und Geschrei geweckt. Die Polizei hatte die Türen der Wohnung der Familien mit Gewalt aufgebrochen und zerrte die gesamte Familie samt Kinder in das Wohnzimmer. Dort wurde vor den Augen der Kinder den Frauen gewaltsam an den Haaren gezogen und die Köpfe der Männer gegen die Wand geschlagen. Einer Frau wurden dabei mehrere Haarbüscheln ausgerissen.

Bei der Festnahme sprang der Familienvater Fazil Ü. aus Verzweiflung vom Balkon des dreistöckigen Gebäudes und verletzte sich dabei schwer. Er befindet sich aktuell in der Universitätsklinik Lübeck in stationärer Behandlung und ist mittlerweile wieder ansprechbar. Trotz dieses traumatischen Erlebnisses vollzogen die Polizeibeamten die gewaltvolle Festnahme der Ehefrau sowie der fünf Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren. Sie wurden zum Flughafen gebracht und trotz des Protests der Familie abgeschoben.

Im Fall der Familie von Ayhan Ü. war jener zunächst nicht zugegen. Die Polizei verschaffte sich auch hier gewaltsam Zutritt zu dessen Wohnung und nahm Semra Ü. sowie deren vier Kinder in Gewahrsam. Diese wurden ebenfalls zum Flughafen transportiert und von dort trotz Protest der Familie und seitens der Zivilgesellschaft nach Kroatien abgeschoben.

Der Anwalt der Familien stellte einen Eilantrag, um die aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzustellen, da bei allen Betroffenen noch Klagen gegen die Ablehnung des Asylbescheids anhängig sind. Außerdem sind die Familien aufgrund des massiven Polizeieinsatzes höchst traumatisiert. Die Abschiebung nach Kroatien bedeutet, dass sie dort erheblichen Menschenrechtsverstößen anheimfallen würden, die Existenzsicherung nicht weiter gewährt wäre und dort unter anderem Misshandlung und Kettenabschiebungen nach Serbien und Bosnien-Herzegowina wahrscheinlich sind. Außerdem werden sie dort keinen Zugang zu einem sorgfältigen Asylverfahren erhalten. Sollten die Familien weiter in die Türkei abgeschoben werden, droht ihnen dort aufgrund ihrer Herkunft und ihrer politischen Haltung als Oppositionelle zum Regime Haft und Folter. (vgl. Amnesty-Türkei-Bericht 2022 vom 28.3.2023 und Türkei-Stellungnahme zahlreicher Menschenrechtsorganisationen vom 13.3.2023)

Ein den Prozess begleitender Jurist äußerte sich dazu wie folgt: „Es ist deshalb als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention anzusehen, die Abschiebung vor diesem Hintergrund durchzuführen. Die Abschiebung hat daher vorerst zu unterbleiben, da die Familieneinheit gewährt sein muss in diesen Fällen."

Das Ganze geschah vor dem Hintergrund, dass gestern in Darmstadt der kurdische Verein von der Polizei gestürmt wurde, mehrere Wohnungen in der Region durchsucht wurden, die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Föderation KAWA vorübergehend in Gewahrsam genommen wurden und die
Abschiebung eines kurdischen Aktivisten aus Kassel in letzter Sekunde verhindert wurde.

Wir als Unterzeichnende verurteilen dieses Vorgehen von deutschen Behörden und Polizei. Wir fordern die sofortige Freilassung aller Familienmitglieder. Wir fordern die Rückreise der abgeschobenen Menschen in ihre Wohnung. Wir fordern Bleiberecht für alle!

Unterzeichnende
Amnesty International Lübeck
Antifa Pinneberg
Antifaschistische Aktion Neumünster
Basis Antifa Lübeck
Defend Kurdistan Lübeck
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Food not Bombs Lübeck
Freie Hütte aus dem Mietshäuser Syndikat Verbund
Freie Arbeiter*innen Union (FAU) Lübeck
Fridays for Future Lübeck
GAL – Wähler*innengemeinschaft grün+alternativ+links
Glasmoorgruppe Hamburg
Humanistische Union OV Lübeck
Interventionistische Linke (IL)
Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo, Kampagne gegen das Abschiebegefängnis in Glückstadt (SH)
Kollektiv schickSAAL*

Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland (KON-MED e.V.)
LaRage Lübeck
Lübecker Flüchtlingsforum e.V.
Medibüro Lübeck e.V.
Nara - Netzwerk antirassistische Aktion Kiel
Omas Gegen Rechts Lübeck
Pro Bleiberecht
Rote Hilfe e.V. Lübeck
Seebrücke Kiel
Seebrücke Lübeck
Seebrücke Neumünster
Seebrücke Schleswig-Holstein
Solidarischen Provinz Wendland /Altmark
TurboKlimaKampfGruppe Kiel
UltraViolett, revolutionär-feministisches Kollektiv Lübeck