Polizisten foltern jungen Kurden in Istanbul

In der Provinz Istanbul ereignete sich ein schwerer Folterfall. Der Kurde Kerem Imrak wurde von Polizisten verschleppt und schwer gefoltert. Dazu gehörte auch sexualisierte Gewalt und Erpressung. Er sollte so gezwungen werden, als Spitzel zu arbeiten.

In der Provinz Istanbul ereignete sich ein schwerer Folterfall. Der 32-jährige Kurde Kerem Imrak wurde von Polizisten verschleppt und schwer gefoltert. Dazu gehörte auch sexualisierte Gewalt und Erpressung. Er sollte so gezwungen werden, als Spitzel zu arbeiten.

Imrak wurde am Sonntagabend von einem weißen Opel Astra im Yakupli-Viertel im Industriegebiet des Stadtbezirks Beylikdüzü gestoppt. Die Polizisten kontrollierten zunächst seinen Ausweis und zwangen ihn dann in das Auto, wobei sie behaupteten, dass gegen ihn ein Festnahmebefehl vorliege. Nach stundenlanger Folter wurde Imrak an einem abgelegenen Ort im Bezirk Başakşehir freigelassen. Seine persönlichen Gegenstände wurden ihm geraubt.

Imrak lebt seit 20 Jahren in Istanbul und arbeitet in der Textilindustrie und auf Werften. Als Kurde wurde er sein Leben lang mit Repressalien überzogen. So wurde er 2011 unter dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ festgenommen und für drei Jahre inhaftiert. Nach seiner Freilassung wurde er 2015 in Mûş festgenommen und erneut unter dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ inhaftiert. Er wurde 2019 wieder freigelassen.

Ich wurde mit einem weißen Opel Astra entführt“

Imrak berichtete gegenüber ANF, dass er am 17. Dezember einen Verwandten im Bezirk Beylikdüzü besucht habe. Den Moment seiner Entführung beschrieb er wie folgt: „Am 17. Dezember war ich zu einem Verwandten im Stadtteil Haramidere im Bezirk Beylikdüzü gegangen. Als ich auf dem Rückweg von meinem Besuch am Eingang des Industriegebiets Haramidere ankam, hielt mich ein weißes Fahrzeug vom Typ Opel Astra vor der Kuvayı-Milliye-Moschee an. Zwei zivil gekleidete Personen stiegen aus dem Auto. Es wurde eine Ausweiskontrolle durchgeführt. Nachdem ich meinen Ausweis abgegeben hatte, sagten sie: ‚Es gibt ein Verfahren, das 2017 gegen Sie eröffnet wurde. Sie werden eine Aussage machen müssen‘, und sie setzten mich in das Fahrzeug. Im Auto nahmen sie mir mein Telefon, meine Geldbörse und meine Tasche ab. Sobald sie mein Telefon an sich genommen hatten, schalteten sie es aus. Sie begannen, in Richtung Bağcılar, Avcılar und Sefaköy zu fahren. Während ich im Fahrzeug saß, fragte ich: ‚Warum dauert das so lange?‘ Als ich fragte, worauf wir warteten, antworteten sie: ‚Wir warten auf den Chef. Der Chef wird uns informieren und wir werden zu dem von ihm zugewiesenen Ort fahren.‘ Dann sagte einer: ‚Amir Bey ist in einer Sitzung und wir können ihn nicht erreichen. Ich spreche mit dem Kommissar.‘ Sie lenkten das Fahrzeug in Richtung Halkalı. Das Fahrzeug hielt gegen 19.30 Uhr in einem Bereich angehalten, bei dem es sich um den Ausgang von Halkalı handeln könnte. Eine Person stieg aus dem Fahrzeug aus und telefonierte. Danach fuhr das Auto weiter in das Waldgebiet hinter dem Başakşehir-Fatih-Terim-Stadion, und nachdem sie dort eine Weile gewartet hatten, kam ein anderes Fahrzeug.

Die Person, die vorne saß, und der Fahrer stiegen aus und sprachen mit jemandem aus dem anderen Fahrzeug und kamen zurück. Als ich die Person, die sich als Polizeibeamter vorstellte, fragte, warum wir hier sind und warum wir nicht zur Polizeiwache gehen, sagte er: ‚Der Chef ist hier. Hier wird Waffenschmuggel betrieben, wir haben Sie hierher gebracht, weil der Chef hier ist. Wir werden nach dem Treffen mit dem Chef wieder gehen.‘“

Folter beginnt nach Ablehnung von Anwerbeversuch

Imrak berichtete, dass er eine Stunde nach seiner Entführung in ein anderes Fahrzeug gebracht wurde. Neben den Entführern hätten sich dort noch zwei weitere Personen befunden, von denen eine „der Chef“ genannt worden sei. Imrak erzählte: „Die Person, die sich als Chef vorstellte, sagte zu mir: ‚Wir werden mit Ihnen über die Organisation sprechen.‘ Ich fragte daraufhin, was sie mit Organisation meinen würden. Seine Antwort war: ‚Sie wissen, was wir meinen.‘ Ich sagte: ‚Ich weiß gar nichts.‘ Auf meine Antwort hin sagten sie mir, ich solle meinen Mantel ausziehen. Dann zogen sie mir gewaltsam den Mantel aus und bedeckten mein Gesicht mit dem Mantel. Sie wendeten das Auto und brachten mich an den Rand eines Sees im Wald. Zuerst stiegen sie aus und sahen sich um. In der Annahme, dass sich hier noch andere Personen aufhalten könnten, fuhren sie noch 15 Minuten weiter und hielten an einer anderen Stelle an.

Die Person auf dem Fahrersitz stieg aus, und außer mir befanden sich noch zwei Personen im Auto. Die Person, die sich als ‚Chef‘ vorstellte, sagte: ‚Erzähl ruhig weiter, wir wissen sehr wohl, was du tust. Wir wollen nur ein paar Dinge von dir erfahren. Ich war gestern im Gefängnis und sie haben mir alles erzählt. Deshalb habe ich dich heute mitgenommen: Entweder du machst, was wir wollen, oder du verlässt dieses Land. Oder wir lassen dich nicht am Leben.‘ Ich erwiderte: ‚Ich weiß nichts. Wenn ich Informationen hätte, könnte ich helfen, aber ich habe keine Informationen.‘ Dann drückten sie meinen Mantel von vorne zusammen und begannen, mir auf den Kopf, die linke Nierengegend und die Rippen zu schlagen, so dass mir die Luft wegblieb.“

Geldangebote und Drohungen

Imrak gab an, dass ihm nach der Folter nahegelegt wurde, als Spitzel zu arbeiten, ihm sei dabei Geld angeboten worden: „Nachdem er mich geschlagen hatte, sagte er: ‚Rede jetzt. Wenn du redest, werden wir zusammenarbeiten. Wir werden dir ein Gehalt geben, wir werden dir in jeder Hinsicht helfen.‘ Dann versuchte die Person, die auf meiner linken Seite saß, mir den Daumen zu brechen. Danach stieg er aus dem Fahrzeug aus. Die Person, die sich als Chef bezeichnete, sagte: ‚Ich schwöre, er wollte dir den Daumen brechen, aber ich habe es nicht zugelassen.‘ Ich fragte ihn, warum sie das täten, und er sagte: ‚Wir kennen dich. Von wem nimmst du Anweisungen entgegen, wem gibst du Anweisungen.‘ Ich erklärte dazu, dass ich von niemandem Anweisungen annehmen würde und arbeite gehe. Darauf erwiderte er : ‚Du arbeitest in einer Werft, an einem Ort, an dem Militärschiffe hergestellt werden. Du bist dorthin gegangen, um eine Aktion zu organisieren.‘ Worauf ich sagte: ‚Ich bin dorthin gegangen, um zu arbeiten.‘

Sexualisierte Folter an Verschlepptem

Dann nahmen sie mir den Gürtel ab, zogen mir gewaltsam die Kleidung aus und begannen, mich zu schlagen. Jetzt ist meine linke Seite von oben bis unten mit Blutergüssen übersät. Als ich wieder fragte: ‚Warum tut ihr das?‘, sagte er: ‚Wir kennen dich. Wir haben fünf Männer, die dich seit fünf Jahren verfolgen. Ich weiß, was du tust, ich weiß, wohin du gehst, also übertreibe es nicht, rede.‘ Als ich sagte, dass ich nichts zu sagen habe, zogen sie mir die Hose aus und drückten meinen Kopf hinter den Sitz. Sie führten einen Gegenstand, den ich für eine Flasche hielt, in meinen Genitalbereich ein. Obwohl ich ihnen sagte, dass dies nicht menschlich sei, machten sie damit weiter.

Erpressungsversuch mit Aufnahmen sexualisierter Folter

Während ich mich in diesem Zustand befand, schlugen sie mich noch einige Minuten lang weiter. Dann sagten sie: ‚Wir haben ein Video aufgenommen, wir werden es auf pornografische Seiten hochladen. Wenn du nicht redest, werden wir dich kastrieren. Wir werden dich den Hunden vorwerfen.‘ Dann zwangen sie mich, mich auf den Beifahrersitz zu legen und schlugen mich mit einem harten Gegenstand, während sie mit den Ellbogen auf meinen Rücken drückten. Diese Folterung dauerte etwa zweieinhalb Stunden.“

Ausgeraubt und mit dem Tod bedroht

Imrak berichtete, dass die Täter erst nach stundenlanger Folter einsahen, dass sie bei ihm nichts erreichen würden. Die Polizisten hätten ihm daraufhin ein Ultimatum gesetzt, die Stadt zu verlassen: „Nachdem ich ihnen gesagt hatte, dass ich in keiner Weise mit ihnen kooperieren würde, sagten sie mir: ‚Dann wirst du hier weggehen. Ich setze dir eine Frist bis zum 18. des Monats, dann wirst du Istanbul verlassen. Wir wollen dich nie wieder in Istanbul sehen. Wenn wir dich in Istanbul sehen, werden wir dich töten. Wir werden dich auf einer Flasche sitzen lassen. Du wirst nicht zu Verwandten kommen, nicht einmal zu Festbesuchen.‘ Dann zogen sie mich an und brachten mich mit dem Auto auf die Hauptstraße. Sie gaben mir mein Telefon und mein Portemonnaie, aber nicht meine Tasche mit meinen persönlichen Gegenständen zurück. Als sie mich aus dem Auto absetzten, musste ich mich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Sie forderten mich auf, so bis Hundert zu zählen. Nachdem ich einige Minuten so gelegen hatte, hob ich meinen Kopf, rief meine Tante an und ging zu ihr nach Hause, wo ich die Nacht verbrachte. Am nächsten Morgen ließ ich mir zusammen mit meinen Anwälten meine Verletzungen attestieren und erstattete Strafanzeige.

Wir dürfen unsere Werte nicht verraten“

Als junge Kurden und kurdisches Volk sind wir in den Städten der Türkei ständig solcher Folter ausgesetzt. Wir sind ein Volk, das diese Repression sowohl politisch als auch gesellschaftlich immer erlebt hat. Hunderte von Menschen vor mir haben diese Erfahrung gemacht. Obwohl es in der Türkei nicht publik gemacht wird, äußert sich die kurdische Öffentlichkeit sehr lautstark dazu. In der Vergangenheit wurden Menschen entführt und tagelang gefoltert. Der Hauptgrund für diese Repressalien ist, dass wir Kurden sind und dass wir politisch denken. Wir, die kurdische Gesellschaft und die kurdische Jugend, sind diesen Folterungen ausgesetzt, weil wir diese Situation nicht akzeptieren. Hätten wir uns selbst verleugnet, dann wäre uns das alles sicher nicht passiert. In diesem Sinne ist es für die kurdische Jugend sehr wichtig, an ihren Werten festzuhalten. Gewalt und Repression können ausgeübt werden, sie mag einen Tag oder ein Jahr andauern, aber sie wird nicht ewig bestehen bleiben. Es reicht, wenn wir unsere eigenen Werte nicht aufgeben und sie verraten.“

Wir werden die Täter ans Licht zerren“

Der Anwalt von Kenan Imrak, Tahir Demirci, Vorstandsmitglied der Istanbuler Abteilung der Vereinigung „Jurist:innen für Freiheit“ (ÖHD ), erklärte, dass sie wegen der Entführung und Folter Strafanzeige erstattet hätten, und erläuterte die juristische Dimension der Entführung und Folter wie folgt: „Wir erfuhren von der Situation unseres Mandanten an dem Tag, an dem er entführt wurde. Als seine Angehörigen ihn nicht erreichen konnten, kontaktierten sie uns. Wir setzten uns daraufhin mit den Polizeistationen und der Antiterrorabteilung der Polizei in Verbindung, aber wir erhielten die Antwort, dass es keine Angaben über eine Verhaftung gäbe. Daraufhin beschlossen wir, einige Stunden zu warten. Nach drei oder vier Stunden nahm mein Mandant Kontakt zu seiner Familie auf und teilte ihnen mit, dass er entführt worden sei.

Wir haben bei der Generalstaatsanwaltschaft von Büyükçekmece Strafanzeige wegen Folter, Körperverletzung, Misshandlung, sexueller Folter, Freiheitsberaubung, Beleidigung, Morddrohung, Erpressung und Raub erstattet. Es gibt Überwachungskameras, die den Vorfall aufgenommen haben. Wir werden den Vorfall weiterverfolgen und unser Bestes tun, um die Täter ans Licht zu zerren.“