Politisches Nachtgebet für Şengal in Köln
In Köln hat ein politisches Nachtgebet für Şengal stattgefunden. Ezidinnen und Eziden berichteten von der Situation in Südkurdistan, mit Gebeten wurde der Opfer des Genozids und Feminizids gedacht.
In Köln hat ein politisches Nachtgebet für Şengal stattgefunden. Ezidinnen und Eziden berichteten von der Situation in Südkurdistan, mit Gebeten wurde der Opfer des Genozids und Feminizids gedacht.
Am vierten Advent haben der Dachverband der ezidischen Frauenräte, TEKO-JIN Köln, die Initiative demokratischer Konföderalismus Köln und die politisch-theologische Aktionsgruppe Köln gemeinsam ein politisches Nachtgebet für Şengal, Südkurdistan, veranstaltet. Etwa 200 Personen nahmen in der Kirche und online an dem Gottesdienst in der Pfarrkirche Hl. Johannes XXIII in Chorweiler teil.
Das politische Nachtgebet in Köln hat Ezid*innen, Christ*innen und politischen Aktivist*innen zusammengebracht. Während des Nachtgebetes berichteten ezidische Frauen und ein Ezide, der 2019 noch in Şengal war, über die Situation der ezidischen Bevölkerung und christlicher Minderheiten in Südkurdistan. Die Besucher*innen der Kirche gedachten mit ihren Gebeten den Opfern der dortigen Genozide und Feminizide und den Menschen, die Widerstand leisten.
Im Nachtgebet verschmolzen christliche und ezidische Rituale einer kraftvollen Zeremonie. Der Abend wurde begleitet von kurdischer Saz-Musik und endete mit einer Aktion, bei der alle Teilnehmenden Kerzen vor einer aufgebauten ezidischen Gedenkstelle ablegten. Nach der Veranstaltung gab es noch rege Diskussionen, weiteren Austausch und Planungen für mehr interkulturelle Zusammenarbeit und Solidarität.
Eine Rede von TEKO-JIN und der IDK Köln ordnete die Veranstaltung politisch ein:
„Wir haben das heutige politische Nachtgebet organisiert, um in dieser aufregenden, aber auch besinnlichen Zeit zusammenzufinden und unseren Blick nach Şengal in Südkurdistan zu richten. Südkurdistan ist eine Region mit reicher Kultur und einer langen Geschichte. Es ist das Siedlungsgebiet der Ezid*innen und mehrerer christlicher Minderheiten.
Bereits 74 Genozide fanden gegen Ezid*innen statt, zuletzt versuchte der IS 2014, die ezidischen Menschen in Şengal und auch christliche Minderheiten in der Umgebung auszulöschen oder zur Konvertierung zu zwingen. Tausende kulturelle Denkmäler wurden zerstört, Menschen wurden getötet und vertrieben. Frauen wurden oftmals zu Tode vergewaltigt oder als Sexsklavinnen verkauft. Somit fand zusätzlich zu dem Genozid auch ein Feminizid statt, also die Ermordung und Unterdrückung von Frauen, nur weil es Frauen sind.
Das Militär von der in Südkurdistan regierenden Clan-Partei KDP zog aus Şengal ab, als sich der Genozid und Feminizid anbahnte, und überließ die Ezid*innen sich selbst. Durch die Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK, gelang den Ezid*innen jedoch schließlich die Bekämpfung des IS und der Aufbau einer demokratischen Selbstverwaltung.
Wir sind bestürzt darüber, wie sich die Lage dort in den letzten Monaten entwickelt hat. Am 9. Oktober 2020 verabschiedeten die irakische Zentralregierung und die KDP ein Abkommen, um
diese Selbstverwaltung zu stürzen und das Gebiet unter ihre Kontrolle zu nehmen. Deutlich wurde dabei, dass die KDP ein Handlager der türkischen, faschistischen und antikurdischen Expansionspolitik ist. Erdogan und die AKP/MHP-Regierung versuchen ihr Ziel eines neoosmanischen Reiches mit allen Mitteln durchzusetzen und greifen deshalb Kurdistan und jede demokratische Kraft im Mittleren Osten, an. Mit Unterstützung der Türkei hat die KDP bereits zehntausend Soldaten in Şengal stationiert. Kleinere Attacken und Durchsuchungen von ezidischen Haushalten haben bereits begonnen.
Hier in Deutschland herrscht Stillstand, während es im Mittleren Osten brennt. Wir ziehen uns zurück, sind beschäftigt mit der Debatte um das diesjährige Weihnachtsfest. Dort, wo die Wurzeln des Christentums und vieler reicher Kulturen liegen, ist heute von uns anstatt einer großen Solidarität, nur die Präsenz von deutschen, exportierten Waffen zu spüren. Dabei ist gerade in dieser Zeit eine Weitsicht für die Probleme anderer Menschen notwendig, sowie auch Jesus sie hatte. Unsere Solidarität und unsere Hoffnung auf eine friedliche Welt wird, vor allem in Şengal, mehr denn je benötigt.
Wir hoffen, das unser heutiges Nachtgebet zu einem großen Zeichen der Verbundenheit mit den Ezid*innen wird. Wir sollten es als einen Anlass nehmen, um eine Weitsicht für Konflikte, die von machtbesessenen Staaten wie der Türkei initiiert werden, zu erlangen. Außerdem wollen wir an unsere Handlungsfähigkeit apellieren. So isoliert, wie unserer Alltag
uns in der Corona-Zeit erscheint: Jede unserer Handlungen, jedes kleinste Licht, das wir anzünden, hat einen Einfluss auf die Moral der Ezid*innen und auch auf die deutsche und internationale Politik. Und auch haben wir hier in einem Land, das immer noch Waffen im Wert von Milliarden von Euro in die Türkei exportiert, eine große Verantwortung, den Krieg im Mittleren Osten zu stoppen.
Vor allem die ezidischen Frauen sind bedroht von einem erneuten Vernichtungsangriff. Deswegen appellieren wir auch für das Aktivwerden gegen geschlechterbasierte Gewalt. In Şengal, aber auch hier in Deutschland, wo die Zahl der Feminizide während Corona deutlich angestiegen ist. Das System des Patriarchats ist hier und dort dasselbe und muss endlich überwunden werden.
Wir sind sehr froh, heute diesen Ort des Miteinanderlernens, Solidarisierens und Gedenkens geschaffen zu haben, und wollen uns von Herzen bei den Vertreterinnen des Dachverbandes der ezidischen Frauenräte, den ezidischen Künstler*innen und der politisch-theologischen Aktionsgruppe Köln bedanken, die diese Zusammenkunft ermöglichen. Wir freuen uns auf einen wunderschönen, kraftgebenden und vereinenden Abend.“