PKK und PAJK erinnern an Massaker im Kerker von Amed

Das Gefangenenkomitee der PKK und PAJK erinnert an das Massaker vor 27 Jahren im Kerker von Amed, bei dem zehn Revolutionäre mit Metallstangen und Knüppeln von einem staatlichen Überfallkommando ermordet wurden.

Am 24. September 1996 ereignete sich im E-Typ-Gefängnis in der kurdischen Widerstandshochburg Amed (tr. Diyarbakir) ein Massaker an PKK-Gefangenen. Ausgeführt wurde es von Spezialeinheiten, Angehörigen der Militärpolizei und Wachpersonal. Zehn Menschen wurden durch Schläge mit Metallstangen und Knüppeln getötet, 24 weitere Gefangene erlitten schwere Verletzungen. Aus Protest gegen das Massaker zündeten sich am selben Tag in Istanbul- Bayrampaşa zwei Gefangene an und starben an ihren Brandverletzungen.

Das Gefangenenkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Partei der freien Frauen Kurdistans (PAJK) erinnert an die zwölf Gefallenen und erklärt: „Obwohl seit der Gräueltat vom 24. September, die der Feind im Kerker von Amed begangen hat, viele Jahre vergangen sind, haben wir nicht vergessen, was unseren zehn Freunden angetan wurde. Aus diesem Grund sagen wir: Der 24. September ist heiß, der 24. September brennt in den Herzen aller Gefangenen und ihrer Genossinnen und Genossen.“

Wir begraben unsere Gefallenen in unseren Herzen, nicht in der Erde"

In der Erklärung zitiert das Komitee Abdullah Öcalan mit den Worten „Wir begraben unsere Gefallenen in unseren Herzen, nicht in der Erde" und weist darauf hin, dass die kurdische Befreiungsbewegung 1996 umfassenden Angriffen in allen Bereichen ausgesetzt war: „Auch die Kerker waren von diesen Angriffen betroffen und zehn unserer Genossen wurden am 24. September 1996 im Kerker von Amed brutal ermordet. Der Angriff fand in dem Wissen statt, dass die im Kerker eingesperrten Revolutionäre sich nur mit ihrem Willen verteidigen können. Dieses Massaker, bei dem die Körper unserer Genossen mit Eisen und Brettern zerschmettert wurden, zeigt das unmenschliche Gesicht der türkischen faschistischen Staatsstruktur in seiner ganzen Nacktheit. Der Widerstand unserer Genossen gegen diese Brutalität drückt ein Niveau aus, das mit goldenen Lettern in die Geschichte der Weltrevolutionen eingehen wird. Unsere Genossen haben mit Bewusstsein, Überzeugung und Willensstärke menschliche Werte gegen die barbarischste Macht der Weltgeschichte verteidigt. In diesem Sinne beschreibt der 24. September die Geschichte eines ehrenvollen Widerstands, die aufgearbeitet und immer in Erinnerung gehalten werden muss.“

„Der Kerker von Amed war die Hochburg des Widerstands“

„So sehr die Kerker für unsere Bewegung eine Festung des Widerstands sind, so sehr sind sie auch ein Ort, an dem der faschistische türkische Staat versucht, revolutionäre Menschen in jeder Hinsicht einzuschüchtern, ihren Willen durch Folter zu brechen und sie zur Kapitulation zu zwingen. Die Politik des Feindes gegenüber den Kerkern im Jahr 1996 bestand darin, revolutionäre Menschen dazu zu bringen, ihre eigene Würde und Identität zu verraten und zu Überläufern zu machen“, so das PKK-Komitee. „Der Kerker von Amed war die Hochburg des Widerstands unserer Bewegung. Es war der Ort des Widerstands von Mazlum, Ferhat, Kemal Pir, Sakine Cansız, den Pionier:innen unserer Bewegung.“

Ihre unvollendeten Träume mit Leben erfüllen“

Das Gefangenenkomitee der PKK/PAJK erinnert an die bei dem Massaker in Amed getöteten Revolutionäre Mehmet Aslan, Rıdvan Bulut, Nimet Çakmak, Cemal Çan, Ahmet Çelik, Kadir Demir, Edip Direkçi, Sabri Gümüş, Erkan Perişan und Hakkı Tekin sowie Vedat Aydemir und Hamdullah Şengüren, die in Bayrampaşa ums Leben gekommen sind, und erklärt: „Anlässlich des Jahrestages gedenken wir unserer gefallenen Freunde mit Respekt und Dankbarkeit und bekräftigen unser Versprechen, ihre unvollendeten Träume mit Leben zu erfüllen und sie zu rächen.“

Zum Hintergrund

Im Widerstand gegen die Einführung von Isolationshaft in der Türkei traten am 20. Mai 1996 etwa 2.000 Gefangene in über 50 Gefängnissen in einen unbefristeten Hungerstreik, der ab Juli von 269 Gefangenen in ein Todesfasten umgewandelt wurde. Am 25. Juli schlossen sich rund 10.000 kurdische Gefangene an. Doch auch Strafgefangene führten Solidaritätshungerstreiks durch. Fünf von ihnen wurden im Gefängnis von Uşak von faschistisch-mafiösen Gefangenen unter Duldung der Gefängnisleitung ermordet. Zwischen dem 63. und 69. Tag starben zwölf Gefangene. Nach 69 Tagen, am 28. Juli 1996, gab der türkische Staat bekannt, die Forderungen der Gefangenen zu erfüllen und sie nicht in Einzelhaft unterzubringen.

Geplantes Massaker

Doch die Forderung wurde nicht erfüllt, den Erfolg der Gefangenen konnte der Staat offenbar nicht akzeptieren. Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu war im Prozess um das Massaker Anwalt der Nebenklage. Damals dokumentierte er: „Am 24. September 1996 kehrten um 10.00 Uhr 26 Gefangene des E-Typ-Gefängnisses von Diyarbakir nach einer 30-minütigen Besuchszeit, in der sie mit ihren Familien reden konnten, in die 29. Sammelzelle zurück. Im Anschluss an die Besuchszeit der ersten Gruppe verließen gegen 11.30 Uhr Gefangene aus den Zellen 18 und 29 nach Verlesung ihrer Namen die Zellen und machten sich auf den Weg in den Besuchsraum. Auf dem Hauptkorridor des Gefängnisses hielten sich 33 Gefangene auf: 20 aus der 29. Zelle, zehn aus der 18. Zelle und drei aus der Krankenstation. Während sie warteten, wollten sie die Gefangenen aus der 35. Zelle um Schüsseln für die Lebensmittel bitten, die ihre Angehörigen ihnen möglicherweise mitbringen würden. Als sie die Schüsseln beantragten und zwei Gefangene forderten, mit den Freunden aus der 35. Zelle reden zu können, reagierte der verantwortliche Oberaufseher nervös und raunzte gereizt: „Ey Mann, hier ist sprechen verboten“ und trat heftig gegen die Eisentür. Er verhielt sich auch weiterhin äußerst abweisend.

Oberaufseher: Jetzt werdet ihr schon sehen

Daraufhin schalteten sich zwei Gefangene mit den Worten ein: ‚Warum verboten? Das ist etwas, was wir immer machen. Und wenn es verboten ist, dann kann man das passend ausdrücken und sagt nicht -ey, Mann-.‘ Aus der Diskussion wurde eine Rangelei. Als gegenseitig Schläge ausgeteilt wurden, schritten andere Gefangene ein. Durch ihr Bemühen endete die Auseinandersetzung. Die Beruhigung, die durch die Intervention der Zellenverantwortlichen eingetreten war, dauerte nicht lange an, da sich der Oberaufseher mit der Bemerkung ‚Jetzt werdet ihr schon sehen‘, näherte. Genau zu diesem Zeitpunkt wurden die Türen zum Trakt der 35. und 36. Zelle geschlossen und man ließ die 33 Gefangenen auf dem Hauptkorridor im sogenannten 4. Trakt warten.

Während des qualvollen Wartens forderten die in Sorge geratenen Gefangenen, man solle sie entweder in den Besuchsraum zu ihren Angehörigen lassen oder in ihre Zellen zurückbringen. Doch diese Forderung wurde nicht erfüllt. Man ließ die Gefangenen bis 15.00 Uhr so warten. Während dieser Zeit wurden sie von der Gefängnisdirektion und den Wärtern verbal beleidigt. Dann kamen Polizisten der Mobilen Einsatzkräfte und Soldaten aus dem Bereich des Speisesaals über den Korridor auf den Trakt zu. Mit Schlagstöcken und Eisenstangen wurden die Häftlinge angegriffen und einer nach dem anderen niedergemacht. Sie wurden zu einer Zusammenarbeit als ‚Überläufer’ aufgefordert. Diejenigen, die sich weigerten, wurden in die Besucherkabinen gebracht und dort durch Schläge mit Eisenstangen, hauptsächlich auf den Kopf, brutal niedergeknüppelt. Die Folge: Neun getötete Gefangene und 24 Schwerverletzte. 

Nach den Aufzeichnungen des staatlichen Krankenhauses Diyarbakir sind dort neun tote Gefangene eingeliefert worden. Nachdem der Gefängnisarzt den Verletzten, die man nicht ins Krankenhaus gebracht hatte, in seinem Bericht bestätigte, dass gegen eine Verlegung keine Einwände bestünden, wurden sie in das Gefängnis nach Gaziantep gebracht. Während des Transportes erlitten die Häftlinge in den Transportfahrzeugen weitere Folterungen. Der Gefangene Kadir Demir wurde unterwegs getötet, zwei andere Gefangene brachte man direkt in das staatliche Krankenhaus Gaziantep, wo sie sofort operiert wurden. Diese Vorfälle wurden in der Öffentlichkeit anfangs bewusst als ‚Aufstand der Gefangenen‘ und als ‚Antwort auf die Forderung männlicher Gefangener, die weiblichen Gefangenen besuchen zu können‘ dargestellt. Die Wahrheit kam jedoch nach kurzer Zeit ans Licht.“

Regierung im Vorfeld in Kenntnis gesetzt

Eine Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, dass „Teile der Regierung im Vorfeld über die Aktion Kenntnis hatten und an der Realisierung beteiligt waren“. Dr. Necdet İpekyüz, damaliger Sekretär der Ärztekammer Amed, fasste zusammen: „Alle Todesfälle waren die Folge von Kopfverletzungen. Am Tag des Vorfalls besuchten zwei Gefängniswärter das Krankenhaus um 10.00 Uhr morgens. Sie hatten sehr leichte Blutergüsse. Die diensthabenden Ärzte im Krankenhaus wussten nicht, aus welchem Grund die Wärter für solch leichte Verletzungen in das Krankenhaus geschickt wurden. Kurz vor der Attacke auf die Insassen bekam das Krankenhauspersonal einen Anruf vom Bezirksstaatsanwalt. Das Personal wurde angewiesen, sich auf eine große Zahl von verletzten Insassen vorzubereiten.“

Statt Täter wurden Opfer zur Rechenschaft gezogen

Das Massaker wurde von unterschiedlichen Gruppen und der Staatsanwaltschaft geprüft. Die parlamentarische Menschenrechtskommission gab in einer Stellungnahme bekannt, dass „30 Soldaten und 38 Polizisten ihre Autorität überschritten hätten und damit Todesfälle verursachten.“ Die Staatsanwaltschaft von Diyarbakir nahm ihre Ermittlungen allerdings gegen 23 während des Angriffs verwundete Gefangenen wegen „Beschädigung von Staatseigentum und Aufruhr“ auf. Die Ermittlungen gegen die Soldaten und Polizisten wurden mit der Entscheidung auf Straffreiheit gemäß des Gesetzes der Strafverfolgung von Beamten eingestellt. Die Begründung lautete: „Die Soldaten und Polizisten versuchten den Gefangenen Leiden zu ersparen.“

Auf Druck der parlamentarischen Menschenrechtskommission wurde im Januar 1997 ein Verfahren gegen 35 Polizisten und 30 Soldaten eröffnet. Im weiteren Verlauf stieg die Zahl der Angeklagten auf 72, ein Urteil wurde jedoch bis 2006 nicht getroffen. Nachdem der Fall an die zweite Strafkammer von Diyarbakir übertragen wurde, verurteilte das Gericht am 27. Februar 2006 (in der 59. Verhandlung) 62 Angeklagte zu 18 Jahren Haft für den Tod mehrerer Insassen. Verschiedene Gründe führten zu einer nachträglichen Strafreduzierung zu sechs Jahren Haft. Der Kassationshof der Türkei hob das Urteil allerdings mit der Begründung auf, dass die Angeklagten eine Möglichkeit der Stellungnahme zu den geänderten Vorwürfen erhalten müssten. Die Anklage der verbliebenen zehn Beschuldigten wurde aufgrund von Verjährung fallen gelassen.

Massaker vor EGMR

Im Fall von Erkan Perişan und anderen verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 20. Mai 2012 die Türkei: „Der Regierungsversion, dass die Einheiten auf die Attacken von schwer bewaffneten Gefangenen antworteten, widersprachen die leichten Verletzungen der Wärter. Weiterhin wird die gegen Gefangene angewendete Gewalt, welche zum Tod von zehn Gefangenen führte, als nicht ,absolut notwendig' nach Artikel 2 eingestuft. Damit wurde Artikel 2, in Bezug auf den Tod einiger Insassen, verletzt.“ (Fallnummer 12336/03).