Parlamentarier Ahmet Şık droht Immunitätsverlust

Dem unabhängigen Abgeordneten Ahmet Şık aus Istanbul soll die parlamentarische Immunität entzogen werden. Hintergrund ist eine Stellungnahme des Parlamentariers zu den Protesten an der Boğaziçi-Universität.

Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara will dem unabhängigen Abgeordneten Ahmet Şık die parlamentarische Immunität entziehen lassen. Ein entsprechender Ermittlungsbericht ist dem türkischen Justizministerium vorgelegt worden. Dem 51-Jährigen, der zu den prominentesten investigativen Journalisten der Türkei zählt, wird auf Grundlage von Artikel 214 des türkischen Strafgesetzbuches vorgeworfen, öffentlich zu Straftaten aufgefordert zu haben. Hintergrund ist eine Stellungnahme mit Bezug auf die Studierenden-Proteste gegen die Einsetzung des Rektors an der Istanbuler Boğaziçi-Universität durch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, droht Şık eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Das dem Generalstaatsanwalt von Ankara unterstehende Büro für Strafverfolgung von Abgeordneten begründet das Ermittlungsverfahren gegen Şık mit dessen Stellungnahme zur Freilassung von Studierenden, die im Zuge der Proteste gegen die Ernennung von Melih Bulu als Leiter der renommierten Hochschule Boğaziçi festgenommen worden waren. Şık hatte erklärt, es sei ein „Irrglaube“ anzunehmen, die AKP würde mit einer Wahlniederlage von der Bildfläche verschwinden. Die Mafia könne nicht mit Gesetzen bekämpft werden, die aus der Feder der Herrschenden stammten. Um Grundprinzipien universeller Rechtsnormen zu erkämpfen, sei es die Pflicht der Bürgerinnen und Bürger, dem Widerstand der Studierenden solidarisch beizustehen.

Nicht das erste Verfahren

Gegen Ahmet Şık sind mehrere Ermittlungsverfahren anhängig. Zuletzt wurden Anfang November drei Berichte zur Aufhebung seiner Immunität von der Generalstaatsanwaltschaft von Ankara bei der Verfassungskommission und dem Parlamentsvorsitz der türkischen Nationalversammlung eingereicht. Die Anträge betreffen Strafanzeigen gegen Şık wegen „Beleidigung“, gestellt von mutmaßlichen Mitgliedern der „Pelikan-Gruppe“, darunter die Journalistin Hilal Kaplan. Auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte Anzeige gegen den Politiker erstattet. Hintergrund sind Äußerungen zur erneuten Verhaftung des Bürgerrechtlers Osman Kavala nur wenige Stunden nach seinem Freispruch im Gezi-Prozess am 18. Februar. Şık hatte erklärt, dass die Anordnung zur Festnahme Kavalas von Erdoğan persönlich kam. Der Pelikan-Gruppe zugeordnete Journalist*innen, welche den erneuten Haftbefehl gegen den seit 2017 inhaftierten Kulturmäzen Osman Kavala begrüßten, bezeichnete Şık als „Parteimilitante, die zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit einer kriminellen Vereinigung“ seien.