Onur Hamzaoğlu: „Ich möchte Mensch bleiben“

Im Prozess gegen elf Politiker*innen wegen ihrer Kritik an der türkischen Militärinvasion in Efrîn ist der Haftbefehl gegen Prof. Dr. Onur Hamzaoğlu (HDK) und Fadime Çelebi (ESP) am ersten Verhandlungstag aufgehoben worden.

Aufgrund ihrer öffentlichen Kritik an der Militärinvasion in Efrîn sind am 9. Februar diesen Jahres Prof. Dr. Onur Hamzaoğlu, der Ko-Sprecher des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) und die stellvertretende Vorsitzende der sozialistischen Partei ESP, Fadime Çelebi, in Istanbul festgenommen und einige Tage später verhaftet worden. Gestern fand der erste Verhandlungstag im Prozess gegen sie und neun weitere Angeklagte wegen Volksverhetzung und „Organisationspropaganda“ statt.

Fadime Çelebi wies in ihrer Verteidigung darauf hin, dass sie auf Wunsch der politischen Macht vor Gericht stehe und sich weiterhin für den Frieden einsetzen werde. Der HDK-Sprecher Hamzaoğlu erklärte vor Gericht: „Um im 21. Jahrhundert Mensch bleiben zu können, sind der Kampf gegen Krieg und für Frieden unumgänglich. Ich möchte Mensch bleiben.“

Die Staatsanwaltschaft forderte die Aufrechterhaltung der Haftbefehle, das Gericht ordnete jedoch die Haftentlassung von Çelebi und Hamzaoğlu an. Die weiteren Angeklagten befanden sich nicht in Untersuchungshaft. Gülistan Kılıç Koçyiğit, Musa Piroğlu, Serpil Kemalbay und Tülay Hatimoğulları sind im Juni als Abgeordnete der HDP in die türkische Nationalversammlung gewählt worden, ihre Anwältin beantragte daher die Einstellung des Verfahrens gegen sie.

„Wir haben leider Recht behalten“

In seiner Verteidigung erklärte Onur Hamzaoğlu einleitend: „Ich bin aufgrund meiner Funktion als HDK-Sprecher hier. Obwohl in letzter Zeit vor Gericht Beweise nicht berücksichtigt und Meinungen als Beweise anerkannt werden, möchte ich mich äußern, damit das, was ich zu sagen habe, in die geschriebene Geschichte eingeht.“

Ein großer Teil der Bevölkerung der Türkei habe von der Existenz Efrîns vor Beginn der Militärinvasion nicht einmal gewusst, erklärte er weiter. Plötzlich habe es geheißen, von dort werde die Sicherheit der Türkei bedroht. „Es gibt Menschen in der Türkei, die Verwandte ersten Grades in den Dörfern auf der syrischen Seite der Grenzen haben. An Feiertagen kommen diese Menschen in der Türkei oder in Syrien zusammen. Efrîn geht die Menschen in der Türkei also auch insofern etwas an, weil sie Verwandte dort haben. Ich bin einer davon“

„Efrîn ist kein Computerspiel“

Vor der Militäroperation sei Efrîn die sicherste Region in Syrien gewesen, so Hamzaoğlu. „Die Organisation, deren Ko-Sprecher ich bin, hat gemeinsam mit anderen eine Presseerklärung abgegeben, weil es eine aus der Geschichte bekannte Tatsache ist, dass ein völkerrechtswidriger Angriff zu Toten führt. Leider haben wir Recht behalten. Hunderte Menschen sind gestorben, Hunderttausende mussten fliehen, das Stadtzentrum ist geplündert worden. Efrîn ist kein Computerspiel, sondern eine Stadt mit Hunderttausenden Einwohnern auf syrischem Territorium. Ich bin Arzt und Experte für öffentliche Gesundheit. Im natürlichen Zustand sind Menschen gesund. Krieg ist das größte Gesundheitsproblem unserer Zeit. Da er durch Menschenhand gemacht wird, ist er ein vermeidbares Gesundheitsproblem. Daher ist es eine unbedingte Notwendigkeit, sich gegen den Krieg zu stellen. Im 21. Jahrhundert muss man für Frieden kämpfen, wenn man Mensch bleiben will. Ich möchte Mensch bleiben.“