Nach Demirtaş-Freispruch: Staatsanwalt geht in Berufung

Nach dem Freispruch für den kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş, dem 142 Jahre Freiheitsstrafe wegen Terrorvorwürfen drohten, hat die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara hat gegen den Freispruch des 19. Schwurgerichtshofs für den kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş Berufung eingelegt. Das Gericht hatte den 46 Jahre alten ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) am Montag im Hauptverfahren gegen ihn freigesprochen. Demirtaş drohten 142 Jahre Freiheitsstrafe wegen Terrorvorwürfen. Er war unter anderem angeklagt, eine Organisation gegründet und geleitet zu haben. Die Anklage baute auf 31 Ermittlungsberichten auf, die dem türkischen Parlament während seiner Zeit als Abgeordneter zur Aufhebung der Immunität vorgelegt worden waren.

Die Generalstaatsanwaltschaft stützt ihre Berufung auf zwei Gründe: Der seit Herbst 2016 inhaftierte Politiker sei wegen Straftaten gegen Verfassungsorgane angeklagt. Aufgrund des hinreichenden Tatverdachts könne die Untersuchungshaft fortgesetzt werden. In Anbetracht der Höhe des zu erwartenden Strafmaßes für „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ sei die Fortsetzung der Untersuchungshaft ohnehin angemessen, argumentierte die Behörde außerdem.

Selahattin Demirtaş wurde zwar freigesprochen, mit seiner Freilassung ist allerdings nicht zu rechnen, da er in einem anderen Verfahren bereits zu vier Jahren und acht Monaten Haftstrafe verurteilt wurde.

Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs in diesem Jahr

Am 18. September findet vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg das Verfahren des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş statt. Der EGMR hatte im März den Antrag des ehemaligen HDP-Vorsitzenden angenommen, mit dem der seit zweieinhalb Jahren inhaftierte kurdische Politiker gegen die fortgesetzte Haft vorgehen möchte. Gleichzeitig wurde der Widerspruch der Türkei gegen das EGMR-Urteil zur Unrechtmäßigkeit der Haft von vergangenem November angenommen.

Der Politiker und Menschenrechtsanwalt Selahattin Demirtaş wurde am 4. November 2016 zeitgleich mit zahlreichen weiteren Abgeordneten seiner Partei festgenommen und anschließend inhaftiert. Seitdem sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis von Edirne. Im November 2018 verurteilte der EGMR die Türkei aufgrund der unrechtmäßigen Untersuchungshaft. Die Straßburger Richter ordneten an, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht gerechtfertigt sei und der Politiker freigelassen werden müsse. Der türkische Staat solle alles tun, um möglichst bald die Freilassung des Politikers zu ermöglichen.

Demirtaş hatte vor dem EGMR geklagt, weil er seine Rechte auf eine angemessene Zügigkeit des Verfahrens gegen ihn, sein Recht auf Meinungsfreiheit und sein Recht auf Unversehrtheit des Lebens verletzt sah. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte jedoch mitgeteilt, die Türkei sei durch das Urteil nicht gebunden. Die türkische Justiz reagierte prompt und bestätigte eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten, zu der Demirtaş am 7. September wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt worden war. Mit der Bestätigung des Urteils ist er in der Türkei erstmals rechtskräftig verurteilt.