Kurdische Vereine vor geheimdienstlicher Nachstellung schützen

Die Linkspolitikerin Ulla Jelpke hat eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um herausfinden, inwieweit Mitglieder kurdischer Vereine in Deutschland vor der Verfolgung durch die türkische Justiz geschützt werden können.

„Ehrenamtliches Engagement in kurdischen Kulturvereinen in Deutschland darf nicht zu einer strafrechtlichen Verfolgung mit Terrorismusvorwurf in der Türkei führen. Wer im Rahmen des deutschen Vereinsrechts aktiv ist und dafür mit seinem Namen gegenüber den Behörden einsteht, sollte Schutz vor Nachstellungen durch ausländische Justizbehörden und Geheimdienste genießen“, meint Ulla Jelpke. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag hatte eine Kleine Anfrage gestellt, um herausfinden, inwieweit Mitglieder kurdischer Vereine in Deutschland vor der Verfolgung durch die türkische Justiz geschützt werden können. Denn in den letzten Monaten kam es immer wieder zu Festnahmen von Vereinsaktivisten aus Deutschland bei Türkeireisen.

Die Bundesregierung hat laut der nun vorliegenden Antwort auf die Kleine Anfrage „Verfahren der türkischen Justiz gegen Mitglieder kurdischer Vereine aus Deutschland“ (Drucksache 19/17366) gegenwärtig Kenntnis von 21 deutschen Staatsangehörigen, bei denen der Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung laut Aussagen der Betroffenen im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in kurdischen Vereinen in Deutschland stehen soll. Darunter befinden sich fünf Personen doppelter Staatsbürgerschaft. Gegen wie viele Personen aus Deutschland, die nur die türkische Staatsbürgerschaft haben, ermittelt wird, kann die Bundesregierung nicht angeben, da sie nur für die konsularische Betreuung von deutschen Staatsangehörigen zuständig ist. „Die Bundesregierung steht mit den betroffenen deutschen Staatsangehörigen im Rahmen der konsularischen Betreuung in Kontakt und hat die Verfahren mehrfach gegenüber türkischen Gesprächspartnern angesprochen. Dabei hat sie die Erwartung einer zügigen rechtsstaatlichen Behandlung deutlich gemacht“, heißt es weiter in der Antwort.

Nach Einschätzung von Anwältinnen und Anwälten werden von der türkischen Generalstaatsanwaltschaft in Ankara derzeit mindestens 400 entsprechende Ermittlungsverfahren geführt. Während über die Ermittlungsverfahren Geheimhaltungsverfügungen verhängt werden, geht aus den Verhören hervor, dass es den türkischen Behörden um das Engagement in kurdischen Vereinen und die Teilnahme an Vereinsaktivitäten sowie um dort gehaltene Reden geht. Der türkische Staat benutzt dabei die bei deutschen Justizbehörden hinterlegten Vereinsregister und konstruiert aus der Mitgliedschaft oder Funktionärstätigkeit in den nach deutschem Recht eingetragenen kurdischen Vereinen die „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ oder aus der Teilnahme an einer Kundgebung „Propaganda für eine Terrororganisation“.

Das Startsignal für das diesbezügliche Vorgehen der türkischen Justiz hatte der türkische Innenminister Süleyman Soylu am 13. März 2019 gegeben, als er in einer Rede erklärte: „Es gibt ja Leute, die in Europa oder in Deutschland an Kundgebungen einer Terrororganisation teilnehmen und dann nach Antalya, Bodrum oder Mugla kommen, um Urlaub zu machen. Für die haben wir jetzt Maßnahmen getroffen.“ Diese Menschen würden bei der Einreise festgenommen und „ab gehtʼs mit ihnen“, so Süleyman Soylu. Bundesaußenminister Heiko Maas hatte diese Äußerungen als „inakzeptabel“ bezeichnet. Im Oktober 2019 wurden zudem die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes um den Hinweis ergänzt, dass es vermehrt zu Festnahmen deutscher Staatsbürger komme, die in kurdischen Vereinen aktiv sind.

Soweit Erkenntnisse für eine konkrete Gefährdung im Falle einer Einreise in die Türkei bestehen, würden die betroffenen Personen durch die Landeskriminalämter in einer Gefährdetenansprache entsprechend informiert, versichert die Bundesregierung zwar nun auf Nachfrage von Ulla Jelpke. Inwieweit dies im Falle von Aktivisten kurdischer Vereine tatsächlich geschehen ist, ist ihr allerdings nicht bekannt.

Keine Erkenntnisse will die Bundesregierung darüber haben, ob Vertreter von Lobbyverbänden der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland, Mitarbeiter türkischer Sicherheitsbehörden oder des Geheimdienstes gezielt Vereinsregister nach Angaben über Mitglieder und Funktionäre eingetragener kurdischer Vereine durchsuchen, um diese an die türkischen Behörden weiter zu melden. Ebenso gibt die Bundesregierung an, nichts darüber zu wissen, ob deutsche Polizeibehörden oder Geheimdienste Auszüge aus Vereinsregistern an türkische Behörden weitergegeben haben.

Eine Möglichkeit, deutsche Behördenmitarbeiter anzuweisen, mit der Herausgabe von Daten aus Vereinsregistern gegenüber ausländischen, insbesondere türkischen, Behörden restriktiv zu verfahren, sieht die Bundesregierung nicht. Denn laut § 79 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist die Einsichtnahme in das Vereinsregister bei dem registerführenden Gericht jedermann gestattet und jedermann kann vom Registergericht eine Abschrift oder einen Auszug aus dem Vereinsregister verlangen. Es gibt keine Regelungen, die eine Beschränkung dieses Rechts ermöglichen. Zudem besteht für jedermann die Möglichkeit, über das Gemeinsame Registerportal der Länder gegen eine geringe Gebühr Daten aus Vereinsregistern entsprechend der Nutzungsordnung auch online abzurufen.

„Das Register dient der Information des Rechtsverkehrs über die dort eingetragenen Vereine, insbesondere auch über die Mitglieder der Vorstände der Vereine und deren Vertretungsmacht. Das geltende Recht enthält deshalb keine Regelungen, wonach zum Schutz bestimmter Vorstandsmitglieder auf Eintragungen ins Register verzichtet werden kann oder bestimmte Eintragungen nicht eingesehen werden können“, erklärt die Bundesregierung.

Angesichts des immer größeren Ausmaßes von Terrorismusermittlungsverfahren in der Türkei gegen deutsche Staatsbürger und in Deutschland lebende Personen, allein weil diese hier im Rahmen des deutschen Vereins- und Versammlungsrechts ihre grundgesetzlich garantierten demokratischen Rechte wahrgenommen haben, erscheint es der Abgeordneten Ulla Jelpke unbefriedigend, lediglich die Reisewarnung zu verschärfen.

Zu prüfen sei, ob Personen, die Vereinsregisterauskünfte zum Zweck der Verfolgung im Ausland missbrauchen, nicht wegen feindlicher Agententätigkeit strafrechtlich belangt werden können. Denn eine solche Nutzung sei ganz sicher nicht Sinn und Zweck der frei zugänglichen Vereinsregister.

Es sollte auch über eine Ergänzung des Vereinsrechts nachgedacht werden, um bei nachweislicher besonderer Bedrohung die persönlichen Daten der eingetragenen Vorstandsmitglieder so unter Schutz zu stellen, dass diese nicht von jedermann ohne weiteres eingesehen werden können, so die Abgeordnete. Dies würde nicht nur kurdischen Vereinen oder anderen Vereinigungen von Migranten helfen, die durch Geheimdienste ihrer Herkunftsländer ausgespäht werden, sondern beispielsweise auch Aktiven in Flüchtlingshilfsvereinen, die immer öfter ins Visier von Neonazis geraten.