„Kurdenmarsch“: Veranstalter kritisieren Berichterstattung

Das Vorbereitungskomitee für den langen Marsch nach Straßburg kritisiert die Berichterstattung in deutschen Medien als rassistisch und orientalistisch und hat eine Stellungnahme dazu abgegeben.

Wie das Vorbereitungskomitee des internationalistischen langen Marsches für die Freiheit von Abdullah Öcalan mitgeteilt hat, kann die traditionelle Veranstaltung aufgrund der Pandemie nicht wie geplant stattfinden. Anstelle des Marsches wird es in den Städten, die als Stationen entlang der geplanten Demonstrationsroute liegen, Tag für Tag vielfältige Aktionen geben. Die Aktionswoche wird in Hanau beginnen und in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) enden, um die Forderung nach der Freilassung Abdullah Öcalans als Repräsentant des kurdischen Volkes zu betonen.

Dass der lange Marsch in seiner ursprünglichen Form nicht stattfindet, ist auch von den deutschen Medien aufgegriffen worden. Das Vorbereitungskomitee kritisiert die mediale Berichterstattung als rassistisch und orientalistisch und hat eine Stellungnahme dazu abgegeben. Journalist*innen werden dazu eingeladen, sich bei Informationsbedarf an die Veranstalter*innen zu wenden.

In der Stellungnahme heißt es:

„Sowohl der Christdemokrat Armin Laschet, als auch der Sozialdemokrat Olaf Scholz wollen die nächsten Deutschenführer werden.“

Die Mauer in den Köpfen muss weg – mit diesem Motto erinnerten heute, am 4. November, zehntausende an den Deutschenmarsch, welcher 1989 zum Fall der Mauer, der Deutschland bis dato in zwei Teile geteilt hat, beigetragen hat.“

Es ist undenkbar, dass Meldungen in der oben genannten Form Eingang in die deutsche Medien finden, oder? Leider nicht ganz! In den letzten Tagen war zwar nicht von „Deutschenführer“ oder „Deutschenmarsch“ die Rede. Dafür konnte man in den letzten Tagen bei dem renommierten Blatt „Badische Neue Nachrichten“ (BNN) die Schlagzeile: „Kurden sagen ihren Demonstrationsmarsch [..] ab“ finden. Es handelt sich dabei um einen Artikel, gespickt mit den Begriffen „Führer“ und „Kurdenmarsch“.

Öcalan und der „Kurdenmarsch

Der Anlass für die Berichterstattung war der „internationalistische lange Marsch für die Freiheit von Abdullah Öcalan“, welcher vom 5. Februar aus Hanau bis zum 13. Februar nach Straßburg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte laufen sollte. Der lange Marsch sollte wie seit nunmehr zwanzig Jahren unter härtesten Auflagen der Polizei und des Ordnungsamtes stattfinden. So sollte beispielsweise das Zeigen des Bildes von Abdullah Öcalan für dessen Freiheit der Marsch organisiert wurde, kriminalisiert werden. Abdullah Öcalan, auch häufig „Kurdenführer“ genannt, da er 2005/2006 von mehreren Millionen Kurd*innen durch Unterschriften als deren politischer Repräsentant bestätigt wurde, soll wieder zu einem „Führer“ stigmatisiert werden. Auch das Mitführen von Fahnen legaler Organisationen und Parteien sollte kriminalisiert werden. Ein Phänomen, dass wir in den letzten Jahren deutschlandweit immer häufiger sehen und sich jährlich insbesondere beim langen Marsch zuspitzt. Noch dazu kommt die aktuelle Situation in der Covid-19-Pandemie. Auch wenn in dem Artikel der BNN nur von den Vorbereitungen der Polizei die Rede ist und es so dargestellt wird, als ob komplett verantwortungslos gehandelt wird und keine eigene Vorbereitung da sei, ist die Realität eine weitaus andere. Das Komitee zur Vorbereitung des langen Marsches hat sich in den letzten Monaten intensiv mit einem Konzept beschäftigt, das es zum einen ermöglicht, dass die Thematik insbesondere in diesen Zeiten, da außer über Covid-19 über nichts anderes mehr geredet wird, präsent ist, aber auch gleichzeitig Maßnahmen eingehalten werden, die das Risiko der weiteren Verbreitung des Virus auf ein absolutes Minimum eindämmen.

Auch dass das Klischee der „gewaltbereiten Chaos-Kurden“ in das Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückgerufen wird, ist nicht nur lächerlich, sondern hat auch einen rassistischen Beigeschmack. Statt von dem zu berichten, was durch die Märsche über die Jahre hinweg erreicht wurde und was für ein wichtiger Beitrag der lange Marsch seit Jahren für die politischen Aktivist*innen in der kurdischen Diaspora darstellt, berichten die Lokalmedien zunächst von einer verletzten Polizistin, die bei dem Versuch einer Festnahme umgestoßen worden sein soll, und einem Mann, der den Marsch angegriffen hatte, dem dabei das eigene Messer abgenommen wurde und der in Notwehr verletzt wurde.

Der Orientalismus in der Berichterstattung zum Thema „Kurden“

Wir wollen an dieser Stelle keine Sprachanalyse über die Berichterstattung zu diesem Fall aufmachen. Das würde den Rahmen sprengen und wäre vielleicht eher eine interessante Herausforderung für Medienwissenschaftler. Doch selbst ohne tiefgreifende Analyse ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass wir es mit einem unreflektierten Sprachgebrauch deutscher Journalisten zu tun haben, wenn es um das Thema „Kurden“ geht. Wir müssen nicht weiter ausführen, welche Konnotationen in der deutschen Öffentlichkeit der Begriff „Führer“ herbeiruft. Wenn nun das Bundesinnenministerium das PKK-Verbot „konkretisieren“ und das Bild von Abdullah Öcalan völlig aus der Öffentlichkeit tilgen will, dann wird mit einer Berichterstattung wie dieser eben die Legitimation für eine Ausweitung der Kriminalisierungspolitik geschaffen. Denn wer will denn ernsthaft in Deutschland das Bild eines „Führers“ in der Öffentlichkeit sehen!? Dass Abdullah Öcalan Repräsentant einer Bewegung ist, die seit über 40 Jahren für die Anerkennung einer entrechteten und verleugneten Gesellschaft kämpft; dass er Ideengeber für ein demokratisches, ökologisches und auf Frauenbefreiung basierendes Gesellschaftsmodell ist, das derzeit in Nordostsyrien realisiert wird; dass er ein politischer Gefangener ist, der seit 1999 unter totalen Isolationsbedingungen festgehalten wird und für dessen Freiheit nachweislich über zehn Millionen Menschen eintreten; all das ist dank der genannten Berichterstattung dann kaum noch von Gewicht.

Zum „Kurdenmarsch“ an sich wollen wir an dieser Stelle gar nicht mehr viel sagen, als dass dieselbe Redaktion, die diese Begrifflichkeit in ihren Artikeln nutzt, wohl kaum von einem „Türkenmarsch“ oder gar „Deutschenmarsch“ gesprochen hätte. Man könnte stattdessen den Marsch einfach bei seinem Namen nennen. Wem „Internationaler Langer Marsch für die Freiheit von Abdullah Öcalan“ zu lang für die Schlagzeile ist, könnte zur Not auch nur „Internationalistischer Langer Marsch“ schreiben. So wäre der Realität des Marsches auch um einiges näher gekommen, da es sich dabei, wie bereits der Name verrät, nicht um einen „Kurdenmarsch“ handelt, sondern dieses Jahr Menschen aus über zwanzig Ländern aus Lateinamerika, Afrika und Europa gekommen wären, hätte es die pandemische Situation zugelassen.

Befremdlich und orientalistisch ist es auch, dass es kaum von journalistischem Interesse zu sein scheint, direkt mit den Organisator*innen zu sprechen. Es wird zwar munter über „die Kurden“ berichtet. Sie selbst zu Wort kommen zu lassen, ist aber wohl weniger von Belang. Stattdessen heißt es: „Entlang der geplanten Strecke atmet man nun auf.“

Aus diesen Gründen möchten wir unseren journalistischen Kolleg*innen zum Schluss nahelegen, das von ihnen verwendete Vokabular in ihren Berichten über die „Kurden“ zumindest einmal kritisch zu reflektieren. Falls es weiteren Gesprächsbedarf zu diesem Thema gibt, sind Sie herzlichst dazu aufgerufen, mit uns, dem Vorbereitungskomitee, Kontakt aufzunehmen, oder Sie kommen zu einer der nun bis zum 15. Februar vielzählig stattfindenden Demonstrationen und Kundgebungen in ihrer Region.