Die anhaltende Kriminalisierungspolitik gegen Kurd:innen in Deutschland führt zu Druck und Prozessen gegen legal arbeitende Vereine und deren Mitarbeiter:innen. Der Gesinnungsparagraph 129b des deutschen Strafgesetzbuchs, aber auch das so genannte Vereinsgesetz und die 2021 zu diesem Zweck angepassten Paragraphen 86 und 86a des StGb, hängen wie ein Damoklesschwert über den Kurd:innen, die sich demokratisch politisch engagieren. Mit diesen Gesetzen werden Straftatbestände konstruiert, um in Deutschland legale und legitime Vereinsarbeit zu kriminalisieren. Ziel ist es, Menschen abzuschrecken und damit Lobbyarbeit für die Rechte der Kurd:innen zu verhindern und das rassistische Stereotyp von „kriminellen Kurden“ aufrecht zu erhalten. Auch werden hiermit Voraussetzungen geschaffen, um die Daten in Deutschland tätiger kurdischer Aktivist:innen an den türkischen Staat weiterleiten zu können.
Ein Beispiel dafür ist das aktuelle Verfahren gegen fünf ehemalige Vorstandsmitglieder des Demokratischen Kurdischen Gemeinschaftszentrums (DKTM) in Heilbronn. Am 27. November 2019 wurden die Räumlichkeiten des Vereins sowie die Wohnungen der Vorstandsmitglieder durchsucht. Im September 2022 wurde gegen die fünf Vorstandsmitglieder, darunter auch der Journalist und amtierende Ko-Vorsitzende des kurdischen Verbands FED-GEL, Sait Öztürk, vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Stuttgart Anklage nach dem Vereinsgesetz erhoben. Am 10. Oktober fand die dritte Anhörung in dem Verfahren statt.
Kriminalisierung kurdischer Symbole
In der Anklageschrift wird das Hissen von PKK- und KCK-Fahnen während der Solidaritätsfeiern mit Rojava in den Jahren 2016 und 2017 als einzige Straftat benannt. Darüber hinaus hätten sich die Angeklagten niemals etwas zuschulden kommen lassen, räumt die Staatsanwaltschaft selbst in der Anklageschrift ein. Alles, worauf sich die Anklage stützt, sind Flaggen und Materialien, die bei den Razzien in den Vereinsräumen des DKTM am 7. Juni und am 22. Oktober 2018 gefunden worden sein sollen, sowie Videos und Postings auf beschlagnahmten Speichermedien. Bei den Hausdurchsuchungen wurde das Archiv von Sait Öztürk, der ehrenamtlich als Journalist für die kurdische Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“ tätig ist, beschlagnahmt. In diesem Archiv hatte Öztürk unter anderem seine journalistische Arbeit der letzten zehn Jahre dokumentiert. Mehrere seiner Interviews, Fotos und Videos, die er für die Zeitung gemacht hat, wurden in der Anklageschrift als „Beweise" aufgeführt.
Aus den analysierten Fotos ergeben sich keine Beweise
Während der dritten Verhandlung am Montag analysierte das Gericht eine Stunde lang Fotos von den Solidaritätsfeiern mit Rojava, die 2017 in Stuttgart stattfanden, um festzustellen, ob die angeklagten Personen anwesend waren. Das Gericht versuchte auch herauszufinden, ob die Feiern von Einzelpersonen oder dem DKTM organisiert wurden. Die Auswertungen blieben jedoch ergebnislos.
Rechtsverstöße durch Polizisten bei Hausdurchsuchungen
Drei Polizeibeamte, die die Hausdurchsuchungen durchgeführt hatten, wurden als Zeugen vernommen. Die Verteidiger:innen fragten sie, ob sie den Angeklagten über die Begründung für die Hausdurchsuchungen und über ihre Rechte, vor allem von ihrem Schweigerecht und dem Recht auf anwaltlichen Beistand, aufgeklärt hätten. Die Beamten gaben an, sich nicht mehr daran erinnern zu können. Auch betonte die Verteidigung die Tatsache, dass keine der bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Materialien eine Straftat darstelle. Die Verteidigung legte Einspruch gegen die Beweismittel ein, da sie aufgrund der Rechtsverstöße durch die Polizisten ungültig seien.
Verhandlung auf den 21. Oktober vertagt
Auf die Frage der Verteidigung, ob das Gericht Beweise dafür habe, dass irgendein kurdischer Verein derzeit in ein Verbrechen verwickelt ist, räumte das Gericht ein, dass dafür keine Beweise vorliegen. Die Verhandlung wurde auf den 21. Oktober vertagt.
Solidaritätskundgebung vor dem Gericht: Schluss mit der Kriminalisierung!
Am Tag der Verhandlung gab es vor dem Gerichtsgebäude eine vom kurdischen Verein in Heilbronn und der Roten Hilfe e.V. organisierte Solidaritätskundgebung für die Angeklagten, an der auch Zübeyde Zümrüt, Ko-Vorsitzende der Konföderation der Gemeinschaften aus Kurdistan in Deutschland (KON-MED) und eine Vertreterin der Roten Hilfe teilnahmen. In ihren Redebeiträgen forderten sie, dass die Politik der Kriminalisierung von Kurd:innen eingestellt wird. Zübeyde Zümrüt erklärte, dass das Gericht Druck auf die Vereine in der Person der Angeklagten ausübe und fügte hinzu: „Wir akzeptieren diese Politik des Drucks nicht". Viele Teilnehmer:innen wohnten danach der Verhandlung als Prozessbeobachter:innen bei.