Koçyiğit: „Wir müssen die Regierung zur Rechenschaft ziehen“

Die HDP-Abgeordnete Gülistan Kılıç Koçyiğit schildert ihre Eindrücke aus dem Erdbebengebiet: „Da das profitorientierte Verständnis der AKP/MHP-Regierung kein Katastrophenmanagement zulässt, werden die Menschen mit ihrem Schicksal allein gelassen."

Obwohl drei Wochen seit den Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet vergangen sind, ist die Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit sauberem Wasser und Zelten immer noch nicht gewährleistet. Weiterhin schlafen Menschen auf der Straße und es besteht Seuchengefahr.

Die HDP-Abgeordnete Gülistan Kılıç Koçyiğit hat ANF von ihren Eindrücken im Erdbebengebiet berichtet. Koçyiğit erklärte, dass es sich bei dem aktuellen Geschehen um eine verflochtene Katastrophe handelt: „Auf der einen Seite gibt es die Erdbebenkatastrophe, aber es gibt auch eine viel größere AKP/MHP-Katastrophe. Als wir in die Erdbebengebiete gereist sind, haben wir sehr deutlich gesehen, dass das Problem nicht nur das Erdbeben ist. Heute sind 22 Tage seit dem Erdbeben vergangen, aber es gibt immer noch Orte ohne Zelte und Zehntausende Menschen, die keine Zelte bekommen. Bei dem Erdbeben haben sich die Menschen auf die Straßen gerettet und dort leben sie seit 22 Tagen, sie wärmen sich am Feuer. Da es kein wirkliches Katastrophenmanagement gibt und das profitorientierte Verständnis der AKP/MHP-Regierung kein Katastrophenmanagement zulässt, werden die Menschen mit ihrem Schicksal allein gelassen.“

Es fehlen nicht nur Unterkünfte

Koçyiğit wies darauf hin, dass es neben fehlenden Unterkünften noch weitere Probleme gibt, die zu der Ausbreitung von Krankheiten führen: „Wir sprechen hier nicht nur von einem Wohnungsproblem im klassischen Sinne. Nach einem etablierten Leben steht man plötzlich auf der Straße. Der Müll wird nicht abgeholt, der Bedarf an Toiletten wurde nicht gedeckt, es gab lange Zeit nicht einmal Trinkwasser. Der Zugang zu Trinkwasser wurde durch Freiwillige sichergestellt. Vielerorts gibt es immer noch kein Wasser, das man benutzen kann. Die Menschen können sich nicht die Hände und das Gesicht waschen, sie können ihren Toilettenbedarf nicht decken. Die Türkische Ärztevereinigung (TTB), die Gewerkschaft des Gesundheits- und Sozialdienstes (SES) und freiwillige Sanitäterinnen und Sanitäter haben sich sehr ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt. Tankwagen sollten Wasser bringen, mobile Toiletten, mobile Waschräume und mobile Friseure sollten an diese Orte geschickt werden. Die Entsendung einer Toilette allein wird das Problem nicht lösen; es muss auch ein Mechanismus geschaffen werden, der die Sauberkeit und Hygiene dieser Toilette gewährleistet. Wir haben gesehen, dass all dies nicht vorhanden war.“

Aus diesem Grund drohe Seuchengefahr und eine Rattenplage, erklärte die Abgeordnete. Zudem wird über den Ausbruch von Krätze im Erdbebengebiet berichtet.

Gesundheit als Ware

Koçyiğit wies darauf hin, dass in vielen Orten Krankenhäuser eingestürzt sind und der Zugang zu medizinischer Versorgung sehr viel schwieriger geworden ist. Auch die errichteten Feldlazarette seien unzureichend, da dort nur schnelle erste Hilfe geleistet werden könne. „Unter den Trümmern liegen seit 22 Tagen Leichen. 22 Tage lang hat der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern keine Zelte zur Verfügung gestellt, sondern es vorgezogen, die Zelte zu verkaufen. Wir haben immer gesagt, dass dieser Staat, diese Regierung der Feind des Volkes ist, und dieses Erdbeben hat es wieder einmal bewiesen. Die Gesundheitspolitik der AKP war auch eine Politik der Zerstörung. Als wir sagten, dass sie das Recht auf Gesundheit abschaffen, indem sie das bestehende Gesundheitssystem liquidieren, es für den Markt öffnen und es in eine Ware verwandeln, die man kaufen und verkaufen kann, sprachen sie über die Größe der Krankenhäuser, die sie bauen, und die Anzahl der Intensivbetten. Jetzt sind wir an dem Punkt, dass die städtischen Krankenhäuser, die sie gebaut haben, beim ersten Erdbeben zusammengebrochen sind. Die Menschen konnten keine Gesundheitseinrichtung finden, um ihre Arme und Beine eingipsen zu lassen. Wir haben es in jeder Hinsicht mit einer unsozialen, volksfeindlichen Regierung zu tun. Deshalb müssen wir alles tun, um unsere Wunden zu heilen und zusammenzuhalten, aber wir werden dabei nicht vergessen, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.“