Kobanê-Prozess: Staatsanwalt plädiert in leerem Gerichtssaal

In dem als „Kobanê-Verfahren“ bekannten politischen Schauprozess in Ankara hat die Staatsanwaltschaft lebenslange Haftstrafen gegen 36 Angeklagte beantragt. Der Staatsanwalt plädierte vor leeren Rängen.

Im sogenannten Kobanê-Prozess in Ankara hat die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haftstrafe ohne Aussicht auf Entlassung für 36 Angeklagte gefordert. In dem seit April 2021 andauernden Verfahren sind insgesamt 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und der kurdischen Befreiungsbewegung angeklagt, die im Zusammenhang mit den Protesten während des IS-Angriffs auf Kobanê im Oktober 2014 terroristischer Straftaten und des Mordes in dutzenden Fällen beschuldigt werden. Unter ihnen befinden sich die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, die derzeitige Ko-Vorsitzende Pervin Buldan, mehrere derzeitige und ehemalige HDP-Abgeordnete und Bürgermeister:innen sowie alle Mitglieder des HDP-Vorstands von 2014. 17 der Angeklagten sind im Gefängnis.

Staatsanwalt Cemalettin Şimşek trug sein Schlussplädoyer in einem leeren Gerichtssaal im Gefängniskomplex Sincan vor. Die Angeklagten und ihre Verteidiger:innen hatten den Saal zuvor aus Protest gegen den politischen Schauprozess verlassen. Als die angeklagten Politiker:innen den Raum verließen, riefen sie „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit) und „Schulter an Schulter gegen den Faschismus“.

Wir werden unseren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen“

Die Verteidiger:innen gaben anschließend außerhalb des Gerichtssaals eine Presseerklärung ab. Rechtsanwältin Sevda Çelik Özbingöl erklärte, dass sie seit Beginn des Kobanê-Prozesses Zeugen von Unrechtmäßigkeit und politischer Einflussnahme geworden seien. Özbingöl wies darauf hin, dass die Verteidigung von vier Angeklagten nicht abgeschlossen werden konnte. „Wir befinden uns in einem Gerichtsverfahren, das willkürlichen und politischen Interessen dient, ohne die rechtlichen Standards und Konventionen, die juristischen Mechanismen und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş zu berücksichtigen. Wir werden unseren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen“, so die Rechtsanwältin.

Weitere Haftbefehle beantragt

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft soll über 5000 Seiten lang sein und wurde nicht vollständig verlesen. Die Abschnitte, die vor Gericht nicht vorgetragen werden konnten, wurden Gerichtsreporter:innen von der Oberstaatsanwaltschaft Ankara als „Informationsvermerk" zugestellt.

Demnach fordert die Staatsanwaltschaft eine „erschwerte lebenslange Haftstrafe“ wegen „Störung der Einheit und Integrität des Staates" gemäß Artikel 302/1 des türkischen Strafgesetzbuches für Selahattin Demirtaş, Ahmet Türk, Bircan Yorulmaz, Ali Ürküt, Alp Altınörs, Altan Tan, Ayhan Bilgen, Ayla Akat Ata, Aysel Tuğluk, Ayşe Yağcı, Bülent Parmaksız, Cihan Erdal, Nazmi Gür, Dilek Yağlı, Emine Ayna, Figen Yüksekdağ Şenoğlu, Sırrı Süreyya Önder, Gülser Yıldırım, Gültan Kışanak, Günay Kubilay, Ismail Şengül, Zeki Çelik, Pervin Oduncu, Sebahat Tuncel, Zeynep Karaman, Ibrahim Binici, Mesut Bağcık, Can Memiş, Gülfer Akkaya, Berfin Özgü Köse, Meryem Adıbelli, Nezir Çakan und Aynur Aşan.

Zudem beantragte der Staatsanwalt einen Haftbefehl für Ayhan Bilgen, Bircan Yorulmaz, Emine Ayna, Emine Beyza Üstün, Gülfer Akkaya, Gülser Yıldırım, Ibrahim Binici, Mesut Bağcık, Pervin Oducu, Nezir Çakan, Sırrı Süreyya Önder und Sibel Akdeniz, die zuvor freigelassen worden waren.

Die Verhandlung wurde auf den 3. Juli vertagt.