Kämpferische Prozesserklärung von Özgür A.

Der kurdische Aktivist Özgür A. hat im 129b-Verfahren vor dem OLG Koblenz eine detaillierte und kämpferische Prozesserklärung abgegeben. Es sei klar, dass er verurteilt werde, dadurch lasse er sich jedoch nicht von seinem gerechten Weg abbringen.

Am Donnerstag ist der Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Özgür A. vor dem Oberlandesgericht Koblenz fortgesetzt worden. Der 48-Jährige wird nach §§129a/b StGB beschuldigt, seit Mai 2018 bis zu seiner Festnahme im April 2022 in Bremen als „hauptamtlicher Kader“ der PKK in verschiedenen Gebieten Deutschlands verantwortlich tätig gewesen zu sein. In dieser Funktion habe er Treffen und Versammlungen organisiert, Spendenkampagnen überwacht sowie personelle und propagandistische Angelegenheiten koordiniert.

Der elfte Verhandlungstag wurde von etwa 25 Personen solidarisch begleitet. Die Prozessbeobachter:innen zeigten sich unbeeindruckt von den massiven Kontrollen, dem Kopieren von Ausweisen und dem übermäßig starken Aufgebot von Wachmannschaften.

Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Personen aus Bremen nach Koblenz bestellt, diese sollten den Angeklagten belasten. Die beiden Zeugen machten jedoch von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

„Auch weiterhin sieht die Anklage keinen Bedarf, unabhängige Gutachten einzuholen oder Gutachter:innen im Prozess anzuhören. Die aktuellen Angriffe der Türkei in Kurdistan sind der Staatsanwaltschaft völlig egal, nur die groben Wesenszüge seien relevant. Details über die brutalen Massaker, den Genozid, den Einsatz von chemischen Waffen mussten die Verteidigung und ihr Mandant selber darlegen“, erklärte ein Prozessbeobachter gegenüber ANF.

Im Gedenken an die Gefallenen des kurdischen Befreiungskampfes

Özgür A. tat das bei diesem Verhandlungstag mit einer mehrere Dutzend Seiten langen Erklärung. Schwerpunkt seiner Ausführungen waren die kurdische Geschichte und der Lausanner Vertrag, mit dem vor hundert Jahren die Aufteilung Kurdistans auf die vier Nationalstaaten Türkei, Syrien, Irak und Iran festgeschrieben wurde. Der Angeklagte widmete seine Erklärung den Gefallenen des kurdischen Befreiungskampfes, dessen Grundlage die Ideen Abdullah Öcalans sind. Die Erklärung beinhaltete eine klare, sachliche und dennoch wütende Absage an den türkischen Faschismus und die Kapitalinteressen der westlichen Staaten, die im Umgang mit dem NATO-Partner Türkei Werte wie Demokratie und Menschenrechte verraten und verkaufen.

Ohne belehrend zu wirken, berichtete der Angeklagte über die dem Gericht offensichtlich nicht bekannte Geschichte des kurdischen Volkes, die Entstehung des türkischen Nationalstaats und die Völkermorde an Armenier:innen, Griech:innen und Kurd:innen. Er beschrieb die Ideologie des türkischen Nationalismus und dessen aggressiv feindliche Haltung gegenüber allen „Nicht-Türken“ und benannte an verschiedenen Stellen präzise und nachvollziehbare Belege. So legte er dar, wie sich die Türkei in den Jahren vor und nach der Republikgründung zu einem genozidalen Terrorapparat entwickelte, welcher für 1,5 Millionen tote Armenier:innen und Hunderttausende Opfer anderer Volks-, Stammes- und Religionsgruppen verantwortlich ist. Zu jener Zeit sei ein eigener kurdischer Nationalstaat nicht möglich gewesen, da die ausgeprägte Stammeskultur gegenüber den imperialistischen, expansiven Staaten nicht wehrhaft genug gewesen sei. Es habe zu diesem Zeitpunkt an Organisierung und Führungskraft gefehlt.

Warum Zehntausende junge Menschen diesen Weg gewählt haben

Nach dieser generellen Einführung in das Thema stellte Özgür A. den persönlichen Bezug zu seiner Heimat Dersim her und schilderte die brutalen, menschenverachtenden Massaker des türkischen Militärs in den Jahren 1937/1938, bei denen schätzungsweise bis zu 50.000 kurdische Alevit:innen getötet wurden. Diese Erlebnisse seien in der kurdischen Identität und Kultur tief eingebrannt und einer der Gründe, warum er wie Zehntausende weitere junge Menschen den Weg des Befreiungskampfes gewählt habe.

Danach ging Özgür A. auf die Entstehung der kurdischen Befreiungsbewegung ein. Mit der Gründung der PKK sei erstmals eine starke, klare, zielgerichtete und fähige Organisation für die Rechte und Werte des kurdischen Volkes eingestanden. Abdullah Öcalan und der PKK gebühre Dank für ihren unermüdlichen Einsatz und Jahrzehnte des Kampfes und Entwickelns von Perspektiven, die neue Hoffnung geweckt hätten. Die Gleichberechtigung und die starke Rolle von Frauen sowie die hohen moralischen Maßstäbe, auf die die PKK in ihrer Theorie und in ihrem Handeln großen Wert lege, seien es gewesen, die die Menschen überzeugt hätten, so Özgür A.

Auch nach der Gefangennahme ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan habe die PKK ihre Strahlkraft und ihren Rückhalt im kurdischen Volk bewiesen. Mit dem eingeschlagenen Weg des demokratischen Konföderalismus, der auf basisdemokratischen, multiidentitären, freiheitsbejahenden Ideen aufbaut, seien die Grenzen der Nationalstaatlichkeit überwunden worden.

Rolle der PKK im Kampf gegen den IS

Die PKK habe einen großartigen Einsatz im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ geleistet und der Widerstand der YPG/YPJ in Rojava sei weltweit mit Dankbarkeit und Anerkennung gefeiert worden. Unvergessen seien alle Gefallenen, die für die gesamte Menschheit ihr Leben im Kampf gegen die Islamisten gegeben haben. An dieser Stelle wies Özgür A. auf den Widerspruch hin, dass die imperialistischen Staaten den kurdischen Kampf gegen den IS unterstützen und gleichzeitig im NATO-Bündnis die Türkei mit Waffen und Geldern ausstatten, welche eingesetzt werden, um Kurd:innen zu töten. Dabei spiele auch die Kriminalisierung der PKK als terroristische Vereinigung eine entscheidende Rolle.

Es gibt nichts, wofür wir uns rechtfertigen müssen“

„Es gibt nichts, wofür wir uns rechtfertigen müssen. Alles, was wir tun, ist messbar an den größten menschlichen Werten. Die PKK ist keine terroristische Vereinigung, sondern eine tragende Säule für Frieden und Demokratie im Nahen Osten“, sagte Özgür A. und erklärte, dass es an der Zeit sei, sich nicht weiter von Erdogan erpressen zu lassen, wie es beispielsweise in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 der Fall gewesen sei. Der Westen handele im Widerspruch zu seinen eigenen moralischen Werten, kapitalistische Machtinteressen würden auf dem Rücken der Kurd:innen und der PKK ausgetragen. Dies verdeutlichten Waffenlieferungen genauso wie die schwache Unterstützung der Erdbebenopfer in den kurdischen Gebieten durch die AKP-Regierung.

Der Paragraph 129 in Deutschland sei ein weiteres Beispiel. Er wisse, dass die Richterin ihn verurteilen werde, lasse sich davon jedoch nicht beirren, brechen oder von seinem Weg für Freiheit und Demokratie abbringen, so Özgür A. In den 17 Jahren, die er in Deutschland lebe, sei er kein einziges Mal straffällig geworden.

Özgür A. beendete seine Ausführungen mit der Forderung nach Freiheit für Abdullah Öcalan und alle politischen Gefangenen und der Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit). Die Zuschauer:innen im Gerichtssaal schlossen sich seinen Forderungen mit stehendem Applaus an und riefen „Bijî PKK!“.

Die Verhandlung wird am Montag, dem 27. Februar, fortgesetzt.