In Istanbul ist eine Protestkundgebung von Studierendenbewegungen und Jugendorganisationen gewaltsam von der Polizei aufgelöst worden. Mindestens fünfzig Beteiligte sollen nach Angaben des Solidaritätskreises der Universität Istanbul festgenommen worden sein. Ihnen wird vorgeworfen, gegen ein behördlich angeordnetes Demonstrationsverbot verstoßen zu haben.
Hintergrund des Protests am Taksim-Platz im zentralen Stadtteil Beyoğlu war der Tod von Enes Kara. Der 20-jährige Medizinstudent der Fırat-Universität in Xarpêt (tr. Elazığ) nahm sich kürzlich das Leben, weil er die tägliche Indoktrination in einem Wohnheim des islamisch-fundamentalistischen Nur-Ordens nicht länger ertrug. „Ich habe keine Lebensfreunde mehr“, sagt Enes Kara in einem Abschiedsvideo, in dem er über seine Verzweiflung angesichts des Alltags in dem religiösen Studierendenheim redet und beschreibt, wie er aufgrund des Drucks seiner Familie genötigt wird, dort zu leben.
Seit der Selbstmord des 20-Jährigen bekannt ist, erlebt die Türkei einen Aufschrei. Die größte Wut sammelt sich bei Studierenden und Jugendlichen und entlädt sich auf der Straße. „Das jetzige System bietet uns keine Zukunft – Wir aber werden leben!“, lautete das Motto der Veranstaltung am Taksim, zu dem seit gestern mobilisiert wurde. Sowohl das Gouverneursamt für die Provinz Istanbul als auch das Landratsamt Beyoğlu ordneten daraufhin in Windeseile ein Versammlungsverbot an. Weil sich die Menschenmenge unbeeindruckt zeigte, ging die Bereitschaftspolizei unter dem Einsatz von teils massiver Gewalt gegen die Protestierenden vor. Die Festgenommenen wurden in Bussen abgeführt, ihnen drohen Verfahren nach dem türkischen Versammlungsgesetz Nummer 2911.