Hüda Kaya: Religionsbehörde Diyanet besitzt keinerlei Autorität

Bei einer Parlamentsdiskussion zum Verfahren gegen die Anwaltskammer Ankara hat die HDP-Abgeordnete Hüda Kaya der Religionsbehörde Diyanet die Regulierung und Dogmatisierung des Islam vorgeworfen. Hintergrund sind homophobe Aussagen des Diyanet-Chefs.

Die HDP-Abgeordnete Hüda Kaya hat der staatlichen Religionsbehörde Diyanet die Regulierung und Dogmatisierung des Islam vorgeworfen und der Einrichtung jegliche Legitimation abgesprochen. Hintergrund sind die abwertenden Äußerungen über Homosexualität des Diyanet-Vorsitzenden Ali Erbaş zum Auftakt des Fastenmonats Ramadan Ende April. Bei einer Freitagspredigt stellte der Kleriker Homosexuelle an den Pranger, indem er den Ausbruch des Coronavirus auf Homosexualität und Ehelosigkeit zurückführte. Der Islam „verdamme“ Homosexualität, deren Sinn es sei, Krankheiten zu verbreiten und Generationen „verfaulen zu lassen“. Erbaş rief zudem Gläubige zum gemeinsamen Kampf auf, Menschen vor diesen „Arten des Bösen“ zu schützen. Dabei gibt es im Koran kein Verbot von Homosexualität. Auch war Homosexualität in der türkischen Republik noch nie ein Strafbestand.

Über die Aussagen von Erbaş, der als Präsident von Diyanet, zu der auch ihr deutscher Ableger DITIB gehört, immerhin die höchste Autorität des sunnitischen Islam in der Türkei ist, zeigten sich Oppositionspolitiker*innen, zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und Menschenrechtler*innen entsetzt. Die HDP-Abgeordnete Filiz Kerestecioğlu bezeichnete die Äußerungen als „Hassverbrechen“, die Anwaltskammer von Ankara reichte Beschwerde ein, weil die Predigt zu Feindschaft und Hass anstachele. Ebenso habe der Diyanet-Chef in der Vergangenheit schon Frauenfeinde in Schutz genommen und Kindesmissbrauch ignoriert, hieß es in einer Stellungnahme der Kammer. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wiederum, der schon länger Gesetzesänderungen plant, um die Anwaltskammern auf Linie zu bringen, habe Erbaş lediglich seine Pflicht erfüllt. Die Bewertung des Klerikers sei unter Berücksichtigung des Islams und des Korans vorgenommen worden und „von vorne bis hinten korrekt“ gewesen. Die Kritik der Anwaltskammer an Erbaş sei nichts anderes als ein Angriff auf den Islam und auf den türkischen Staat.

Vorstandsmitglieder der Kammer sollen Stellungnahme abgeben

So ähnlich sah das auch die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara. Sie leitete Ermittlungen gegen die Anwaltskammer ein, weil diese religiöse Werte eines Teiles der Bevölkerung beleidigt haben soll. Die Anzeige der Kammer gegen die homophoben Äußerungen Erbaşs wurde abgelehnt, während eine Sammelbeschwerde gegen die Vereinigung angenommen wurde. Anfang der Woche forderte der Staatsanwalt zudem alle Vorstandsmitglieder der Kammer auf, eine schriftliche Stellungnahme zu ihrer Beschwerde gegen den Diyanet-Chef abzugeben.

Hüda Kaya fand deutliche Worte für die Kritikunfähigkeit des Duos um Erdoğan und Erbaş. Meinungsfreiheit sei kein der Religionsbehörde vorbehaltenes Privileg, sagte die 59-jährige Politikerin bei einer hitzigen Parlamentsdiskussion am vergangenen Freitag. Wenn die Spitze am Diyanet ihre Meinung frei äußerte, dürften es auch die Anwaltskammern.

„Mich als Muslimin vertritt Diyanet nicht“

„Ein vermeintlich konservativer Grundsatz und das Verständnis von einer ‚heiligen Familie‘ impliziert keine Deutungshoheit über den Islam“, sagte Kaya außerdem. Der seit 2017 von Erbaş geleitete Diyanet ist laut Verfassung dem Laizismus verpflichtet. Das Amt soll fern jeder politischen Meinung stehen und die „Solidarität und den Zusammenhalt der Nation” fördern. Doch mittlerweile ist die Behörde das wichtigste Instrument für die religiöse Legitimation der AKP-Politik und die Schaffung einer frommen Generation in der Türkei. „Sie besitzt keinerlei Autorität mehr“, sagte Kaya. Sie als Muslimin werde vom Diyanet nicht vertreten.

Diyanet soll Rechte von missbrauchten Kindern verteidigen

„Diese Einrichtung ist nicht legitim und kann weder Vertrauen in die Fähigkeit, Religion zu lehren, geltend machen, noch im Namen der Muslime Urteile fällen“, so Kaya. Statt die Gesellschaft im Namen des Islam auf einen fundamentalistischen Kurs zu indoktrinieren, solle die Behörde ihren verfassungsmäßigen Verpflichtungen nachkommen. „Die Religionsbehörde soll die Rechte der Jungen verteidigen, die in Koranschulen sexuell missbraucht und vergewaltigt wurden. Sie sollte sich gegen die Korruption stellen, ihre Stimme für die zu Unrecht getöteten Menschen erheben. Und sie sollte für Freiheit und das Recht auf Gedankenfreiheit, die Grundlage der Menschenrechte im Koran, sprechen.“ Die AKP-Fraktion versuchte mit Grölen die Rede von Kaya zu übertönen.