„Hört die Hilferufe unserer Kinder“

Die Familien der hungerstreikenden Mitglieder der türkischen linken Musikgruppe „Grup Yorum“ rufen vor dem Hintergrund der bestehenden Lebensgefahr ihrer Kinder zu Solidarität der Fans auf.

Seit 218 Tagen sind einige Mitglieder der Musikgruppe „Grup Yorum“ im Hungerstreik. An das türkische Innenministerium gerichtet, fordern sie die Freilassung ihrer verhafteten Kolleg*innen, die Aufhebung der Haftbefehle gegen weitere Mitglieder und ein Ende des Konzertverbots, dem die Musikgruppe ausgesetzt ist.

Der in der Strafvollzugsanstalt von Silivri in Istanbul inhaftierte Ibrahim Gökçek ist seit dem 199. Tag seines seit 218 Tagen andauernden Hungerstreiks in das sogenannte Todesfasten übergangen. Auch Helin Bölek befindet sich seit dem 213. Tag im Todesfasten, im Hungerstreik ist sie seit insgesamt 215 Tagen. Ihr einziger Wunsch ist es, ihre Kinder am Leben zu halten, so der Vater von Ibrahim Gökçek, Ahmet Gökçek, und die Mutter von Helin Bilgi, Aygül Bilgi.

„Meine Tochter wird vor meinen Augen täglich schwächer“

Helin Bölek führt ihre Aktion des Todesfastens zuhause bei ihrer Familie aus. Ihre Mutter gibt an, der gesundheitliche Zustand ihrer Tochter habe einen kritischen Zustand erreicht. Ihre Tochter würde vor ihren Augen von Tag zu Tag schwächer und schmilzt körperlich  – wortwörtlich wie sinnbildlich – dahin. Das eigene Kind so zu sehen,  macht ihr als Mutter schwer zu schaffen, so Aygül Bilgi. Über den Gesundheitszustand ihrer Tochter sagt sie: „Weil meine Tochter bei mir ist, kann ich ihre gesundheitliche Verfassung täglich beobachten. Aufgrund der Entzündungen an ihren Nervenenden hat sie Schmerzen in verschiedenen Teilen ihres Körpers. Diese Schmerzen sind im Hinblick auf den nächtlichen Schlaf sehr störend, weshalb meine Tochter zusätzlich geschwächt und ermüdet ist. Sie verliert weiterhin an Gewicht und leidet unter Übelkeit und Kopfschmerzen, ferner hat sich ihre Licht- und Geruchsempfindlichkeit erhöht“.

„Zwischen vier Wänden“

Um den in Haft sich im Todesfasten befindenden Ibrahim Gökcek macht sich Aygül Bilgi auch ernste Sorgen und teilt mit: „Meine Tochter ist im Unterschied zu ihm in Freiheit und bei ihren geliebten Menschen. Wir alle, die Familie und die Freunde, versuchen etwas für sie zu machen, um ihr Kraft und Sicherheit zu schenken. Ibrahim Gökçek aber führt seine Aktion allein und in Haft durch.“

Ibrahim Gökçek (zweiter von links)

Aufruf zur Solidarität

„Ich liebe meine Tochter. Ich möchte wieder Lieder mit ihrer schönen Stimme hören. Ihr appelliere an jede Person, die sich als humanistisch versteht: Lasst uns alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um sie am Leben zu halten. Ich weiß auch nicht, auf welche konkrete Weise das gehen soll, aber ich denke, jeder kann etwas tun. Dafür dass diese schönen Menschen am Leben bleiben, für die Kunst, insbesondere aber für die Menschlichkeit, sollt etwas unternommen werden“, so Aygül Gökçek in ihrer Botschaft an Öffentlichkeit.

„Künstler des Volkes“

Der Vater von Ibrahim Gökçek, Ahmet Gökçek, unterstreicht seine Solidarität mit seinem Sohn und sagt, „ich bin stolz auf ihn, weil er immer ein Künstler des Volkes war und ist“. Ahmet Gökçek konnte Wochen lang seinen Sohn nicht besuchen, weil die Gefängnisleitung ein einmonatiges Besuchsverbot erlassen hatte. Nach dem Ende des Verbots konnte er letzte Woche zu einem Besuch ins Gefängnis und teilt mit, dass die Mitglieder von Grup Yorum in Haft der Willkür der Haftanstalt ausgesetzt sind. Von dem Gespräch mit seinem Sohn berichtend gibt Ahmet Gökçek an: „Mein Sohn vermisst die schönen Tage, an denen er tausenden Menschen Konzerte gegeben hat und wünscht sich, dass er wieder solche Erfahrungen machen kann. Dieser Wunsch schenkt ihm Hoffnung, aus der er Kraft für den Widerstand schöpft.“ 

Jede Minute ist lebenswichtig

Ahmet Gökcek erinnerte weiterhin daran, dass Grup Yorum vor mehreren Zehntausend Menschen Konzerte gespielt haben. Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden ist mittlerweile sehr kritisch und jede vergehende Minute sei daher lebenswichtig. Seine Botschaft an die Öffentlichkeit, vor allem an die Fans von Grup Yorum lautet: „Ich möchte, dass die Menschen sich mit unseren Kindern solidarisieren. Ich möchte, dass die vielen Menschen, die sich von der Musik von Grup Yorum begeistern lassen, die Hilferufe unserer Kinder endlich hören und reagieren. Auch die Freunde und Künstler, mit denen sie dieselbe Bühne geteilt haben, sollten sie unterstützen. Ganz gleich wer auf welche Weise was unternimmt, jeder sollte irgendwas tun.“