Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat den Polizeiangriff auf ihre Zentrale in Ankara scharf verurteilt und als Fortsetzung einer staatlich orchestrierten Kriminalisierungskampagne bezeichnet. Die türkische Regierung will die HDP schon länger ausbluten lassen, erklärten die Ko-Sprecher:innen für auswärtige Angelegenheiten, Hişyar Özsoy und Feleknas Uca, am Freitag in Ankara. Doch der gestrige Polizeiüberfall sei der vorläufige Höhepunkt eines vom Innenminister gelenkten Vorhabens, die HDP vor der nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei vollständig aus dem Weg zu räumen.
Was war geschehen? Am Donnerstagmorgen legten drei Personen, die behaupteten, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) habe ihre Kinder entführt, einen schwarzen Kranz vor der HDP-Zentrale in der türkischen Hauptstadt nieder und beschuldigten die Partei, „gemeinsame Sache mit der PKK“ zu machen. Davon ist auch im Diskurs der Regierung immer wieder die Rede. „Die drei Demonstranten wurden von der Polizei dirigiert und kontrolliert und selbst, nachdem sie ihren Kranz abgesetzt und das Parteigebäude wieder verlassen hatten, setzte die Polizei ihre provokativen Aktionen fort. Es folgte eine Belagerung unseres Gebäudes“, so Özsoy und Uca in einer gemeinsamen Stellungnahme. Als HDP-Abgeordnete und -Mitglieder dagegen protestierten, wurden sie von der Polizei hart angegriffen. Die Parlamentarierin und Frauenratssprecherin Ayşe Acar Başaran wollte eine Presseerklärung zu den Geschehnissen abgeben, als sie ebenfalls ins Visier der Polizei geriet. Ein leitender Beamter griff sie verbal an und drohte ihr mit den Worten: „Ich werde dich an die Wand nageln.“
Am späten Nachmittag griff die Polizei die protestierenden HDP-Mitglieder erneut an. Die Polizei versuchte, in die Parteizentrale einzudringen und die Türen aufzubrechen, wobei sie aus nächster Nähe Pfefferspray auf Parteimitglieder, darunter auch Ayşe Acar Başaran, abfeuerte. Neun HDP-Mitglieder, darunter Personen aus dem Zentralvorstand, wurden misshandelt, festgenommen und erst nach einem mehrstündigen Verhör wieder freigelassen. Sie werden beschuldigt, gegen das Versammlungsgesetz Nummer 2911 verstoßen und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben.
„Dieser organisierte Angriff ist Teil einer langen Kampagne des türkischen Staates, die darauf abzielt, die HDP zum Schweigen zu bringen und vollständig zu eliminieren“, so Özsoy und Uca. Nach mehrfachen Attacken über die Justiz – darunter das Verbotsverfahren und der sogenannte „Kobanê-Prozess“, komme es nun auch zu physischen Angriffen. „Wie schon in der Zeit vor den Wahlen im Juni und November 2015 kämpft die Regierung mit zunehmender Repression und Gewalt gegen die HDP um ihr Überleben. Je näher die Wahlen rücken, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Angriffe einen neuen Höhepunkt erreichen werden. Selbstverständlich werden wir uns der schieren Rechtswidrigkeit der Regierung nicht beugen und unseren Kampf für Demokratie, Freiheit und Frieden weiter ausbauen. Die Öffentlichkeit ist jedoch dazu aufgerufen, diese Angriffe auf die HDP genauestens zu verfolgen und angesichts dieser unverschämten Unrechtmäßigkeit und Ungerechtigkeit nicht zu schweigen.“
HDP-Mitarbeiterin ermordet
Die HDP ist seit der Parlamentswahl am 7. Juni 2015 schweren Angriffen durch das türkische Regime ausgesetzt. Tausende von Parteimitgliedern, darunter die früheren Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, ehemalige Abgeordnete, Ex-Bürgermeister:innen und Führungskräfte, befinden sich in türkischen Gefängnissen. Die HDP ist der Gegenentwurf zu dem autoritären und faschistischen Block aus der islamistischen AKP und rechtsextremen MHP. Deswegen ist sie den Machthabern ein Dorn im Auge. Als Folge einer systematischen Kriminalisierungspolitik kommt es immer wieder zu Angriffen auf HDP-Mitglieder und Anschläge gegen Parteiverbände. Zuletzt führte diese Politik zur Ermordung der kurdischen Aktivistin Deniz Poyraz durch Schüsse aus der Waffe eines türkischen Faschisten vergangenen Juni im HDP-Büro in Izmir.