HDP-Politiker seit vier Jahren in politischer Geiselhaft
Vier Jahre nach seiner Verhaftung fragt der HDP-Politiker Selahattin Demirtaş aus dem Hochsicherheitsgefängnis Edirne die türkische Regierung und ihre Unterstützer: „Hat es sich gelohnt?“
Vier Jahre nach seiner Verhaftung fragt der HDP-Politiker Selahattin Demirtaş aus dem Hochsicherheitsgefängnis Edirne die türkische Regierung und ihre Unterstützer: „Hat es sich gelohnt?“
Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat mit ihrem Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen vom 7. Juni 2015 in der Türkei die Regierungspartei AKP ernsthaft in Bedrängnis gebracht. Damit begann eine Zeit blutiger Anschläge und Auseinandersetzungen. Am 20. Mai 2016 wurde die Immunität der HDP-Abgeordneten aufgehoben und nach dem versuchten Militärputsch vom 15. Juli 2016 wurde der Startknopf für die Festnahmeoperation vom 4. November 2016 gedrückt.
Seit dieser Festnahmewelle gegen Mitglieder und Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), in deren Rahmen unter anderem auch die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ inhaftiert wurden, sind vier Jahre vergangen. Am 4. November 2016 wurden elf Abgeordnete festgenommen. Neben Demirtaş und Yüksekdağ wurden die Abgeordneten Nursel Aydoğan, Sırrı Süreyya Önder, Selma Irmak, Ziya Pir, Ferhat Encü, Gülser Yıldırım, İdris Baluken, Leyla Birlik und İmam Taşçıer aus ihren Wohnungen geholt, einige weitere Betroffene der Operation waren Gültan Kışanak, Sebahat Tuncel, Çağlar Demirel, Burcu Çelik, Aysel Tuğluk, Bekir Kaya, Tuncer Bakırhan, Edibe Şahin, Nurhayat Altun und Abdullah Zeydan.
Die Festnahmewelle wurde mit Verweis auf die Verhaftung der DEP-Abgeordneten vom 2. März 1994 und die am 14. April 2009 gestarteten „KCK-Operationen“ als neuer „politischer Putsch“ bezeichnet. Die Situation ähnelte jener im Jahr 1994, als die Immunität von Parlamentsmitgliedern der Demokratiepartei (DEP) aufgehoben wurde und Leyla Zana, Orhan Doğan, Hatip Dicle und Selim Sadak wegen Terrorismusvorwürfen verhaftet wurden. Sie blieben ein Jahrzehnt im Gefängnis. Begründet wurde die damalige Maßnahme damit, dass die Abgeordneten ihren Loyalitätseid beim Amtsantritt auch in kurdischer Sprache abgelegt hatten. Als die Politiker*innen gewaltsam von der Polizei aus dem Parlament abgeführt wurden, begrüßten die anderen Parteien die Geschehnisse mit Standing Ovations. Ähnlich verhielt es sich beim „Putsch vom 4. November 2016“, als etliche HDP-Abgeordnete, darunter die früheren Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, verhaftet wurden, nachdem ihnen kurz zuvor auf Betreiben Erdoğans die Immunität entzogen worden war.
Der ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş hat sich in einem MA-Interview aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Edirne zu seiner vierjährigen Gefangenschaft geäußert und unter anderem erklärt: „Die Justiz war in der Türkei noch nie unabhängig und unparteiisch, aber sie war zu keiner Zeit in einem so niederschmetternden Zustand wie heute. Als Institution ist sie vollständig zusammengebrochen. In einer solchen Atmosphäre ist es eine Illusion, von dem einen oder anderen Gericht Gerechtigkeit zu erwarten. Mit den Wahlen wird es zu einer Einheit kommen und erst eine neue Regierung, an der hoffentlich auch die HDP beteiligt sein wird, kann das Rechtssystem mit demokratischen Reformen und einer umfassenden Neustrukturierung wieder herstellen.
Es geht jedoch nicht nur um uns. Millionen Menschen sind zu Opfern der Justiz geworden. Dass Figen und ich wegen desselben Vorwurfs erneut verhaftet worden sind, ist nicht nur eine Rechtsverletzung, sondern gleichzeitig ein schweren Vergehen, mit dem die Politik der Türkei gestaltet werden sollte. Wir werden dafür sorgen, dass die Straftäter sich als Angeklagte verantworten müssen.“
Demirtaş verwies darauf, dass sich in der Türkei nach den Massenfestnahmen vor vier Jahren insbesondere die Wirtschaft negativ entwickelt hat: „Außerdem hat unser Gefängnisaufenthalt es Erdogan erleichtert, sein autoritäres Ein-Mann-Regime einzuführen. Das wird deutlich, wenn man sich die chronologische Abfolge ansieht. Die Operation vom 4. November 2016 war Teil des Plans von Erdogan. Ein paar Monate nach unserer Verhaftung hat Erdogan auf zweifelhafte Weise ein Referendum gewonnen und sein Ein-Mann-Regime verfassungsrechtlich verankert.
An dieser Stelle möchte ich diejenigen, die das Recht misshandelt und uns ins Gefängnis gesteckt haben, und alle, die das unterstützt haben, fragen: Hat es sich gelohnt? Als wir verhaftet wurden, hatte die AKP einen Stimmenanteil von 49 und die HDP einen von elf. Heute ist die AKP dreigeteilt und hat nur noch einen Stimmenanteil von 28. Die HDP hingegen ist stärker geworden und kommt auf 13 Prozent. Wer hat gewonnen, wer hat verloren? Über diese Rechnung sollten alle nachdenken.“