Die Ohrfeige eines türkischen Polizisten gegen den Ko-Vorsitzenden des Istanbuler Provinzverbands der HDP, Ferhat Encü, sorgt für eine Welle der Empörung. Der Parteivorstand verurteilte das gewaltsame Verhalten des Beamten scharf und kündigte Konsequenzen an. In einer Stellungnahme wurde der Vorfall als „unverhüllter Schlag gegen das kurdische Volk und alle demokratischen Kräfte“ bezeichnet.
Den Schlag ins Gesicht bekam Encü, der von 2015 bis 2018 als Abgeordneter für den Wahlkreis Şirnex (tr. Şırnak) im türkischen Parlament saß, am Sonntag am Rande einer Demonstration in Istanbul. Hintergrund des versuchten „Sternmarschs auf Kadıköy“ war die finale „Gerechtigkeitswache“ von Gefangenenangehörigen, die sich seit März dafür einsetzten, die Freilassung schwer Erkrankter und wegen fehlendem Reuebekenntnis trotz Vollendung ihrer Strafen weiterhin Inhaftierter zu erreichen.
Die Polizei hatte den Sternmarsch auf der asiatischen Seite Istanbuls gewaltsam aufgelöst und dutzende Festnahmen durchgeführt. Encü protestierte gegen dieses Vorgehen und wurde von einem Beamten zunächst verbal beleidigt und anschließend geschlagen. Ein Reporter des oppositionellen Senders Artı TV, der die Szenen einfing, befindet sich ebenfalls unter den nach bisherigem Stand rund 50 Festgenommenen.
Ohrfeige als Ausdruck des Machtverhaltens von AKP und MHP
„Die Ohrfeige gegen Ferhat Encü ist Ausdruck des zunehmend rücksichtsloseren und von antikurdischen und demokratiefeindlichen Praktiken geprägten Machtverhaltens der Regierungskoalition aus AKP und MHP“, erklärte der Vorstand der HDP. Die „Politik der Feindseligkeit“ der Herrschenden und das von ihnen geschaffene „Klima des Hasses“ ermutige Angehörige von Polizeibehörden geradezu, die Grenze des Zumutbaren immer wieder zu überschreiten und „Hass und Galle“ gegen jede Person zu spucken, die nach Recht und Gerechtigkeit strebt. „In einer Zeit, in der die Opposition eingeschüchtert werden soll, in der Gerechtigkeitssuchende misshandelt werden und rücksichtslose Übergriffe auf die Gesellschaft überall die Tagesordnung bestimmen, werden wir unsere politischen und sozialen Einwände noch lauter hervorbringen. Denn die Ohrfeige, die heute Ferhat Encü erhielt, richtete sich in seiner Person gegen die demokratische Politik. Mit den Beschimpfungen waren all jene gemeint, die sich für Recht und Fairness einsetzen. Dieser Angriff ist Ausdruck des Hasses auf die Kurdinnen und Kurden.“
Ferhat Encü (m.) tanzt beim Kongress der Istanbuler HDP im Dezember 2021 mit festlich gekleideten Frauen in ihren bunten kurdischen Kleidern den traditionellen Govend.
Demokratische Kräfte bündeln ist das Gegengift
Die HDP mahnt auch an die Verantwortung aller politischen Kräfte, die für einen Systemwechsel in der Türkei kämpfen. Sie alle müssten jetzt entschieden, konsequent und unmissverständlich handeln. Das Regime versuche sich mit Gewalt an der Macht zu halten, da es den eigenen Untergang bereits vor Augen habe. „Das Gegengift gegen die schlagende Hand der Tyrannei ist es, dass sich alle Kräfte der Demokratie zusammenschließen.“ Für Montag kündigte der HDP-Vorstand eine Protestveranstaltung vor dem Sitz des HDP-Kreisverbands Kadıköy an. Die Parteivorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar wollen sich ebenfalls beteiligen.