HDK: Wir legen den Schwerpunkt auf Organisierung

Als Ko-Sprecher des HDK sieht Sedat Şenoğlu die Hungerstreiks in den türkischen Gefängnissen als Teil eines gesellschaftlichen Widerstands. Dieser Widerstand könne erfolgreich verlaufen, wenn seine Ziele noch breiteren Kreisen vermittelt würden.

Während die Kommunalwahlen in der Türkei bevorstehen und der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen in eine kritische Phase getreten ist, fand am 13. Januar die 9. Generalversammlung des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) statt. Wir haben mit dem Ko-Sprecher des HDK, Sedat Şenoğlu, über die aktuellen Entwicklungen gesprochen.

Im Moment findet ein Hungerstreik zur Aufhebung der Isolation Öcalans statt, der sich kontinuierlich ausweitet. Wie bewerten Sie als HDK die Entwicklungen im Hungerstreik?

Wir sind natürlich aktuell mit der Isolation konfrontiert, aber sie stellt schon seit langem eines der Grundprobleme der Türkei dar. Die Isolation von Herrn Öcalan auf Imralı ist selbstverständlich nichts Neues. Wir wissen, dass es in der Vergangenheit Bemühungen gab, um dieses Problem zu lösen und Frieden und Demokratie zu schaffen. Diese Bemühungen haben zwischen 2013 und 2015 einige hoffnungsvolle Ergebnisse hervorgebracht. Und diese Hoffnung hatte eine neue Verbundenheit mit sich gebracht. Aber leider ist dieser Lösungswille vor allem in den letzten dreieinhalb Jahren zerbrochen. Herr Öcalan befindet sich seit dreieinhalb Jahren in absoluter Isolation. In dieser Zeit wurden Kriegspolitik, Polarisierung, Sektierertum und Sexismus zur Grundlage der Politik des aktuellen Regimes. Die Isolationspolitik in Imralı wurde auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet. Alle gesellschaftlichen Gruppen, die Rechte und Demokratie einfordern, sind isoliert worden. Die Isolation greift die Struktur der Gesellschaft an. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind die Forderungen im Hungerstreik, den Leyla Güven begonnen hat, um den Prozess wieder aufzugreifen, lebensnotwendig. Die HDP-Abgeordnete Leyla Güven hat ihre Aktion mit einer ernsthaften Entschlossenheit begonnen und setzt diesen Streik mit einer ebenso großen Entschlossenheit fort. Wir haben bereits gesehen, dass diese Aktion großes Echo findet und sich immer mehr Menschen anschließen. Der Hungerstreik hat auch zu einem Treffen zwischen Herrn Öcalan und seinem Bruder auf Imralı geführt.

Gut, aber ist dieses Treffen Ihrer Meinung nach alleine ausreichend?

Natürlich nicht. Die Rechte von Herrn Öcalan sind weiterhin beschnitten und auch im weiteren gesellschaftlichen Sinne wurde die Frage der Befreiung nicht aufgehoben. Die Isolation ist ein politisches Problem und muss auch politisch behandelt werden. Daher ist jeder Ansatz, der Imralı oder die Forderungen von Leyla Güven politisch nicht ernst nimmt, kein legitimer Schritt und kann keine Lösung herbeiführen. Durch dieses kurze Treffen ist bekannt geworden, dass Abdullah Öcalan noch lebt, aber es handelt sich auch um einen Manipulationsversuch. Die Menschen sollen denken, dass es keine Isolation mehr gibt, aber mit einem solchen Kurzbesuch ist die Isolation gewiss nicht aufgehoben.

Der HDK hat seinen neunten Kongress abgehalten und dabei das Motto „Arbeit, Frieden, Freiheit: Gesellschaftlicher Widerstand gegen den Faschismus“ in den Vordergrund gestellt. Was bedeutet diese Parole im Kontext der Hungerstreiks?

Wir haben uns als Grundziel vorgenommen, eine gesellschaftliche Widerstandslinie für Arbeit, Frieden, Demokratie und Freiheit und gegen den Faschismus aufzubauen. In diesem Sinne sind die Hungerstreiks Teil eines gesellschaftlichen Widerstands, den wir so weit wie möglich verbreiten wollen. Je weitergehender wir dies schaffen, desto mehr können wir die Erfüllung der Grundforderung des Hungerstreiks erreichen. Das bedeutet im täglichen gesellschaftlichen Leben eine Kette der Solidarität und Unterstützung um den Hungerstreik zu bilden. In diesem Sinne zielt der HDK sowohl für seine eigenen Mitglieder als auch für die verschiedenen Komponenten der Gesellschaft darauf ab, eine vereinende Rolle beim Aufbau einer solchen Allianz zu spielen.

In etwa drei Monaten finden Kommunalwahlen statt. Was für eine Politik verfolgt der HDK bei den Wahlen am 31. März?

Der HDK hat sowohl praktisch als auch aus seiner Mission heraus eine über die Wahlen hinausgehende Betrachtungsweise. Aber natürlich nehmen die Wahlen einen wichtigen Raum auf der Tagesordnung ein. Der HDK verfügt über das Potential, um Bedingungen für seine Arbeit und Ziele zu schaffen, sowohl in gesellschaftlicher als auch in politischer Hinsicht. Wir verfolgen die klare Perspektive, bei den Wahlen einerseits die kurdischen Kommunen von den staatlichen Treuhändern zurückzuholen und andererseits neue Provinzen hinzuzugewinnen. Wir sehen es als Lebensnotwendigkeit an, bei den Wahlen der vom AKP-Regime praktizierten Politik eine Niederlage zuzufügen. Außerdem halten wir dies auch für sehr wichtig, um den AKP/MHP-Block zurückzudrängen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch auch, dass es sich hier eigentlich nicht nur um eine Kommunalwahl handelt. Sowohl die AKP/MHP-Koalition als auch die Opposition behandeln diese Wahlen wie Parlamentswahlen.

Das Regime will mit den Wahlergebnissen die Ein-Mann-Herrschaft verankern und auch im kommunalen Bereich dauerhaft festigen. Wir betrachten dies aus einer ganz anderen Perspektive und sagen, dass es notwendig ist, diese Wahl zu einem Referendum zu machen, bei dem sich der Widerspruch gegen dieses Regime vereint. Es ist klar, dass die Kräfte, die sich gegen das Regime stellen, eine demokratische Front bilden müssen. Das ist unsere Haltung als HDK. Diesbezüglich treffen wir uns weiterhin mit unserer Partei, der HDP. Der Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen. Vor uns liegen noch etwa drei Monate und in diesem Zeitabschnitt ist alles offen. Aber als HDK ist unser Grundperspektive diese: Die Wahlen sind wichtig, mit den zu gewinnenden Kommunalverwaltungen kann die AKP zurückgedrängt werden, aber bestenfalls vorübergehend. Denn es gibt die Praxis der Treuhänder und es gab nun auch Fälle davon in der Westtürkei. Es ist bereits erklärt worden, dass ein Wahlsieg der HDP nicht anerkannt wird. Die Versuche des Wahlbetrugs, die bereits durch die Medien aufgedeckt worden sind, stinken zum Himmel. Wir glauben nicht, dass man die Wahlen als eine Frage von Sieg oder Niederlage betrachten sollte. Stattdessen müssen wir viel nachhaltigere Ziele verfolgen und langfristig Räte für den Kampf um Frieden und Demokratie in der Türkei aufbauen. Der HDK tritt daher als Grundlage für den Aufbau einer gesellschaftlichen Allianz ein. Und wir werden bereits in der Wahlzeit diese Rätebildung konkretisieren.

Wird die Wirtschaftskrise in der Türkei einen Einfluss auf die Wahlen haben?

Die ökonomische Krise hat die gesellschaftlichen Widersprüche in der Türkei verschärft. Die Inflation, die Arbeitslosigkeit, Verteuerung und Steigerung der Armutsrate sind mittlerweile zu Alltagsproblemen der Bevölkerung geworden. Die aktuelle Politik hat keine Lösung. Wir stehen vor einer noch viel tieferen Epoche der Krisen. Das trifft auf die ganze Welt zu. Was in der Türkei passiert, ist Teil einer globalen Krise, denn der Imperialismus durchlebt global eine strukturelle Krise. Aber in der Türkei herrscht nicht nur eine materielle Krise. Es gibt eine politische, ideologische, kulturelle und ökologische Krise. Wir haben jahrelang gesagt „Sozialismus oder Barbarei“ und dieser Satz ist hochgradig aktuell. Für die Werktätigen in der Türkei ist das Leben zu Hölle geworden. Sie sind selbst in permanenter Aktion. Der Arbeiterprotest hat am dritten Istanbuler Flughafen begonnen und ging dann weiter von TOKI bis Flormar. Es ist sogar schon so weit gekommen, dass Arbeiter aus Protest versuchen, sich das Leben zu nehmen. Es ist wichtig, diese Kämpfe zusammenzubringen.

Natürlich gibt es auch die andere Seite einer solchen Krise. Es gibt Menschen, die nun noch nationalistischer und konservativer werden. Solche Beispiele gibt es an verschiedenen Orten auf der Welt. Aber es gibt eben auch diejenigen, welche die Gründe für die Krise in der aktuellen Regierung und den mit ihr zusammenhängenden Zusammenbruch des politischen Klimas suchen. Sie hinterfragen die aktuellen politischen Verhältnisse. Und es gibt die demokratischen, freiheitlichen, egalitären und revolutionären Bewegungen und Zusammenschlüsse. Natürlich tragen wir die Verantwortung, diese zweite Front zu stärken. Wir müssen als demokratische Kräfte in der Türkei zeigen, dass die ökonomische und die politische Krise in der Türkei nicht unabhängig voneinander stattfinden. Vielleicht ist es schwer, das für alle Bereiche zu sagen, aber wenn die Arbeiter nun an der untersten ökonomischen Grenze leben müssen, dann reicht das eigentlich. In diesem Sinne könnten die Wahlen den Protest gegen diese Verhältnisse ausdrücken. Aber das geschieht nicht von selbst, wir legen unseren Schwerpunkt daher auf Organisierung.