Das monatliche Café der Kampagne TATORT Kurdistan in Hamburg widmete sich im März der Neuerscheinung der deutschen Übersetzung des zweiten Bandes von Abdullah Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“. Vor circa 45 Menschen stellte am Mittwochabend Reimar Heider, Übersetzer und Mitglied der Internationalen Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan“, das Buch vor. Ein Auszug der Ankündigung des Buches lautet wie folgt: „Zu Newroz, dem kurdischen Neujahrsfest am 21. März, erscheint im Unrast Verlag der zweite Band von Abdullah Öcalans ‚Manifest der demokratischen Zivilisation‘ unter dem Titel ‚Die kapitalistische Zivilisation: Unmaskierte Götter und nackte Könige‘. Zwischen 2007 und 2010 hat Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali ein fünfbändiges Opus Magnum geschrieben, in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus 35 Jahren radikaler Theorie und revolutionärer Praxis zusammenfügt. Mit diesem zweiten Band schließt Öcalan seine Analyse der Zivilisation ab und zieht radikale Schlussfolgerungen. Ausgehend von den Analysen Fernand Braudels kritisiert Öcalan den Kapitalismus als eine unnötige Verirrung, die niemals fortschrittliches Potenzial besaß, sondern die Gesellschaft im Inneren zerstört. Seine aktuelle Form, die kapitalistische Moderne, beschreibt er als Dreiecksbeziehung von Kapitalismus, Industrialismus und Nationalstaat.“
In der Einleitung der Veranstaltung ging es zunächst um die aktuelle Situation, insbesondere um die Hungerstreiks und die Bewegung, die sich dem Protest Leyla Güvens in- und außerhalb der Gefängnisse angeschlossen hat. Zudem ging Reimar Heider auf den kürzlich von den deutschen Behörden verbotenen Mezopotamia-Verlag ein. Diese Fortsetzung der kurdenfeindlichen Politik, welche die Bundesregierung mit der Türkei teile, sei eventuell auch eine Reaktion auf die Verbreitung der revolutionären Gedanken und Ideen in deutscher Sprache, da immer mehr deutsche Linke der kurdischen Freiheitsbewegung mit Interesse begegnen.
Reimar Heider gab in seiner Vorstellung eine Einführung in die ersten beiden Bände, da diese aufeinander aufbauen. Durch vier Gliederungspunkte – Methode, Geschichte, Zivilisation und Kapitalismus – erläuterte er grundsätzliche Züge Abdullah Öcalans Gedanken. Er bettete auch Gedanken und Inspirationen, die Öcalan selbst aus Werken anderer Autoren bezieht, so ein, wie es in den Büchern, insbesondere aufgrund der schwierigen Umstände, unter welchen die Bücher im Gefängnis geschrieben wurde, Öcalan so nicht möglich war. Reimar Heider betonte auch die Rolle, die Öcalan selbst beim Verfassen der Schriften einnahm – nicht die eines typischen Historikers, sondern eben auch die eines revolutionären Politikers, dessen Ziel es insbesondere ist, Diskussionsräume innerhalb der demokratischen Kräfte zu eröffnen und zudem Organisierung voranzubringen.
In der anschließenden Fragerunde wurden viele Themen angesprochen. Zum einen wurden die Bedingungen angesprochen, unter welchen Öcalan seine Werke im Gefängnis verfassen musste, die zudem nur einen Bruchteil seiner tatsächlichen Publikationen umfasst. Zum anderen ging es auch darum, wie die Werke überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen konnten, nämlich nur als persönliche Statements in Gerichtsverfahren. Weiter wurden Fragen der praktischen Umsetzung der Ideen aufgeworfen. Diese zeige sich in den Diskussionsprozessen, welche die kurdische Freiheitsbewegung seit Beginn an führe. Zudem ging es um die demokratischen Strukturen, welche zuerst in Nordkurdistan aufgebaut wurden und dort anschließend mit äußerster Brutalität vom türkischen Staat bekämpft wurden – besonders aufgrund ihrer Strahlkraft und der Breite der Bevölkerung, die diese unterstützte. Diese würden jetzt unter anderem in Rojava fortgesetzt, wo auf die Erfahrungen aus Nordkurdistan aufgebaut werde.
Die Anwesenden zeigten sich überaus neugierig und auch dankbar für die Arbeit der Internationalen Initiative, wobei jedoch betont wurde, dass die eigentliche monumentale Leistung darin bestehe, diesen Widerstand gegen Apparat und diktatorisches System im Gefängnis zu leisten, wie es Öcalan durch das Verfassen der Werke tue. Hohes Interesse gab es natürlich auch an den Schriften selbst.