Die „Feministische Organisierung Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ erklärt sich solidarisch mit den Betroffenen der anti-kurdischen Repression und Kriminalisierung des deutschen Staates und stellt Forderungen an die neue Bundesregierung: „Wir können beobachten, dass Aktivist:innen, Politiker:innen, Parteien und demokratische Organisationen durch politisches Handeln des deutsches Staates massiv an ihren Arbeiten gehindert werden und für ihr gesellschaftliches Engagement angezeigt, abgeschoben und einsperrt werden. Diese Zustände waren und sind für uns als Initiative, die für Geschlechterbefreiung und Basisdemokratie lebt und mit der kurdischen Freiheitsbewegung zusammensteht, nicht hinnehmbar. Wir fordern deshalb die neue Regierung der Bundesrepublik Deutschland dazu auf, sich umgehend von der vorigen repressiven Politik gegenüber der kurdischen Freiheitsbewegung und allen internationalistischen Gruppen und Einzelpersonen zu distanzieren und damit einen eindeutigen Kurswechsel einzuschlagen. Insbesondere bedeutet das, den undemokratischen Forderungen und Erwartungen des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan Einhalt zu gebieten und sich nicht mehr als verlängerten Arm seiner unterdrückerischen Politik zu verstehen.“
Die feministische Initiative weist darauf hin, dass mithilfe des von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Parteien infrage gestellten Verbots der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit Jahrzehnten politische Organisationen von Kurd:innen in Deutschland kriminalisiert und ihre Aktivist:innen juristisch verfolgt werden. Diese Repression betrifft häufig auch jene Aktivist:innen, die sich mit der kurdischen Freiheitsbewegung solidarisieren und sich in diesem Sinne für Demokratische Autonomie, Freiheit und Menschenrechte einsetzen. Neben zahlreichen Verurteilungen kurdischer Aktivist:innen wegen mutmaßlicher PKK-Mitgliedschaft stechen laut der Initiative allein im Jahr 2021 drei Entscheidungen der deutschen Bundesregierung hervor, die sie „in aller Deutlichkeit als undemokratisch und widerrechtlich verurteilt“ und wie folgt darstellt:
Internationalistin wegen Engagement ausgewiesen
Im November 2021 wurde die spanische Aktivistin María aufgrund ihres gesellschaftspolitischen Engagements aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Gemeinsam mit der Ausreiseanweisung wurde ihr Anfang Oktober von der Ausländerbehörde Magdeburg ein zwanzigjähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen.
María engagiert sich für basisdemokratische Politik und ist insbesondere im Bereich feministischer Bildung politisch aktiv. Als Internationalistin schlägt ihr Herz für die Verbindung mit basisdemokratischen Bewegungen weltweit, wonach sie entsprechend ihr Leben ausrichtet. Ihre klare politische Haltung für Geschlechterbefreiung, Basisdemokratie und Ökologie nutzt der deutsche Staat als Begründung für ihre Abschiebung und positioniert sich mit diesem Akt eindeutig gegen diese Werte. Denn die Regierung zeigt mit der Abschiebung deutlich, dass jenes gesellschaftliche Engagement in Deutschland von staatlicher Seite politisch unerwünscht ist.
Neben ausländerrechtlichen Fragen wird María im Speziellen vorgeworfen, dass sie aktiv die Freundschaft zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und anderen linken Kräften in Deutschland gefördert habe. Untermauert wird dies mit ihrer Kenntnis der kurdischen Sprache. Damit stelle María eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesregierung Deutschland dar, so die Begründung.
Ausreiseverbot für Friedensdelegation
Im Juni 2021 hält die deutsche Bundespolizei eine Gruppe von deutschen, türkischen und Schweizer Staatsbürger:innen am Flughafen in Düsseldorf davon ab, ihren Flug in die Kurdische Autonomieregion im Norden des Iraks im Rahmen einer Friedensdelegation anzutreten. Ziel der Delegation war es, sich vor Ort über die über Wochen andauernden Militäraktionen des türkischen Militärs im südlichen Teil Kurdistans im Nordirak zu informieren und auf die völkerrechtswidrigen Angriffe aufmerksam zu machen.
Außerdem sollte sie den Dialog mit und zwischen anderen europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und dortigen Parteien unterschiedlicher politischer Couleur anregen. 15 der 19 Personen wurde die Ausreise in den Irak für einen Monat untersagt. Durch die Bundespolizei von der Ausreise abgehalten wurden unter anderem auch die Ko-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, und ein Projektmitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, der in dessen Auftrag an der Delegationsreise teilnehmen sollte und entsprechende Papiere vorlegte. Hamburgs Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) stellte gegenüber dem Handeln der Bundespolizei klar, dass dies nicht nur rechts-, sondern auch verfassungswidrig war. Laut Grundgesetz sowie der Verfassung der Hansestadt dürfen Abgeordnete während der Dauer ihres Mandats weder verhaftet noch in sonstiger Weise in ihrer Freiheit und in der Ausübung ihres Mandats behindert werden. Auch im Nachhinein blieb die Bundesregierung Beweise für eine rechtliche Grundlage der durchgeführten Maßnahmen schuldig. Entsprechende Anzeigen wegen Freiheitsberaubung und Nötigungen wurden gestellt.
Britischer Journalist zwei Monate in Migrationshaft
Anfang 2021 wurde der aus Großbritannien stammende Journalist und Mitbegründer des Rojava Information Center, Matt Broomfield, bei seiner Reise aus Griechenland nach Italien an der Grenze von italienischen Polizisten an der Einreise gehindert und in Griechenland zwei Monate lang in Migrationshaft genommen. Ihm wurde mitgeteilt, dass er auf Ersuchen der deutschen Bundesregierung ein zehnjähriges Einreiseverbot für den Schengen-Raum habe. Dies geschah über das sogenannte Schengener Informationssystem (SIS), das seit seiner Gründung von Wissenschaftler:innen, EU-Gremien und Bürgerrechtsorganisationen immer wieder kritisiert wurde unter anderem, weil es vollkommen undurchsichtig arbeitet. Über das Einreiseverbot liegen Broomfield auch nach sechs Monaten weder eine Begründung noch andere offizielle Unterlagen vor.
Gesinnungsjustiz im Dienste Erdoğans
Diese Fälle von Kriminalisierung und Repression machen deutlich: Die nun abgetretene deutsche Bundesregierung behandelte Medienarbeit und feministische Bildung als Terror und Menschen- und Völkerrechtsaktivist:innen sowie Parlamentsabgeordnete und deren Mitarbeiter:innen als Terrorist:innen. Diese politischen Entscheidungen der deutschen Bundesregierung gegen das Engagement für Geschlechtergleichberechtigung und interkulturellen Dialog wie im Falle von María, gegen die Pressefreiheit, wie im Falle von Matt Broomfield, gegen die Ausübung parlamentarischer Mandate und das Engagement für die Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht wie im Falle der Friedensdelegation, sowie in allen Fällen gegen die Reise- und Bewegungsfreiheit, müssen in Verbindung mit den politischen Beziehungen zum türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Politik verstanden werden. Sie sind mit Blick auf dieses Verhältnis nicht anders zu verstehen als eindeutige Gesinnungsjustiz. Erdoğan steht international unter scharfer Kritik, wofür es zahlreiche Gründe gibt, die unter anderem die Nicht-Einhaltung von Menschenrechten, die Verletzung des Völkerrechts, den Einsatz von Chemiewaffen, die Einschränkung der Pressefreiheit sowie den Austritt aus der Istanbuler Konvention zur Verhütung geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen.
Forderungen an die Bunderegierung
Deutsche Bundesregierungen müssen endlich aufhören, sich als Handlangerinnen eines solchen Regimes zu betätigen und umfangreiche Bemühungen aufbringen, die Fehler der Vergangenheit nach Möglichkeit zu korrigieren und wiedergutzumachen. Dazu zählt auch die Arbeiterpartei Kurdistans, die PKK, zu legalisieren und damit verbundene undemokratische politische Maßnahmen zu stoppen und rückgängig zu machen.
Konkret fordern wir deshalb die neue Bundesregierung Deutschlands dazu auf, die benannten Einreise- und Aufenthaltsverbote gegen Matt Broomfield und María umgehend zurückzunehmen und damit ein klares Zeichen für demokratische Werte zu setzten. Des weiteren fordern wir, eine klare politische Haltung gegenüber der menschenverachtenden Politik des türkischen Staates einzunehmen und seiner kriegstreibenden und genozidalen Politik gegenüber der kurdischen Freiheitsbewegung entgegenzutreten.