Nach der militärischen Niederlage des Islamischen Staat (IS) befinden sich Tausende IS-Dschihadisten, viele von ihnen aus den verschiedensten Ländern der Welt, bei den Demokratischen Kräften Syrien (QSD) in Haft. Hinzu kommen Zehntausende Familienangehörige und Kinder der Dschihadisten. Die Bundesregierung hat sich bisher geweigert, seine häufig in schwerste Kriegsverbrechen verwickelte Staatsbürger und deren Angehörige zurückzunehmen. Unter anderem beruft sie sich darauf, dass es keine diplomatische Vertretung in Syrien gibt.
Neben der schweren Belastung und des Sicherheitsrisikos, das die gefangenen Islamisten für die fragile Region Nord- und Ostsyrien darstellen, bringt diese Politik insbesondere für die Kinder, von denen die meisten mit ihren Müttern im Camp Hol festsitzen, große Probleme mit sich. Aufgrund mangelnder Unterbringungs- und Kontrollkapazitäten haben die IS-Mütter im Camp Hol praktisch ein eigenes kleines Kalifat errichtet und indoktrinieren ihre Kinder weiterhin mit der IS-Ideologie. So tötete erst im Juni eine aserbaidschanische Frau in dem Camp ihre Enkelin, weil diese sich offenbar geweigert hatte, den Ganzkörperschleier anzulegen. Wie es im Obduktionsbericht hieß, war die Minderjährige zunächst massiv misshandelt worden, bevor sie von ihrer eigenen Großmutter erwürgt wurde. Auch die hygienischen und medizinischen Versorgungsbedingungen im Camp sind trotz intensiver Bemühungen der überlasteten Selbstverwaltung hochproblematisch. Die Selbstverwaltung sieht sich hier auch von internationalen Hilfsorganisationen weitgehend im Stich gelassen.
Seit Monaten machen Angehörige von IS-Frauen in Deutschland mobil und setzen sich für eine Rückholung ihrer Angehörigen und deren Kinder ein. Nun entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem Fall, die Bundesregierung sei verpflichtet, die Familienangehörigen und insbesondere die Kinder zurückzuholen. Damit ist das Auswärtige Amt in der Pflicht, nun sofort die Identität dreier minderjähriger Kinder im syrischen Flüchtlingslager Hol feststellen zu lassen und danach diesen und ihrer Mutter die Rückreise nach Deutschland zu ermöglichen. In der Begründung heißt es, die aus Niedersachsen stammende Mutter und ihre Kinder könnten sich „unmittelbar" auf die im Grundgesetz verankerte „staatliche Schutzpflicht" berufen.
Das Auswärtige Amt hatte zuvor dem Anwalt Dirk Schoenian gegenüber erklärt, es sei bereit, die Kinder zu holen. Sie sind acht, sieben und zwei Jahre alt. Entgegen der „staatlichen Schutzpflicht“ erklärte das Auswärtige Amt, es sehe keine Verpflichtung, auch der Mutter bei der Rückreise aus Syrien nach Deutschland zu helfen. So will sich die Bundesregierung um das politisch heikle Thema der Rückholung herumlavieren. Dabei geht es nicht wie immer wieder angegeben um eine sicherheitspolitische, sondern um eine wahltaktische Entscheidung. Während die Bundesregierung Länder wie Tunesien unter Druck setzt, aus Deutschland auch dschihadistisch straffällig gewordene Staatsbürger zurückzunehmen, weigert sie sich, diese Verpflichtung bezüglich ihrer eigenen Staatsbürger in Syrien zu erfüllen. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien beharrt allerdings darauf, dass nicht die Kinder allein, sondern auch die Mütter zurückgenommen werden müssen. Diesen Punkt griff das Gericht auf und erklärte, die Mutter sei ebenso umgehend zurückzuholen. Das Gericht begründete seine weitreichende Entscheidung mit der Gefahr schwerer Schäden für die Kinder im Camp.
Der Anwalt der Familie sagte der SZ: „Das ist eine grundsätzliche Entscheidung, bei der dem Auswärtigen Amt deutlich gezeigt worden ist, dass es so nicht geht, dass man sich nicht vor der politischen Verantwortung und vor der rechtlichen Verantwortung drücken kann.“ Ob das Auswärtige Amt in Berufung geht, ist noch nicht bekannt.