„Die Jugend ist der Motor der Gesellschaft und damit die Kraft, die das neue und freie Leben aufbauen wird“ – so lautet die Maxime der Organisierung „Demokratischer Studierendenrat“, die am Samstag in Istanbul ihre Gründung bekannt gegeben hat. Angesichts der allgegenwärtigen Repression im Land und der Tatsache, dass die Jugend „von allen Seiten in das Rad des Systems“ gezwängt werde, sei es dringend nötig, die Kraft für gesellschaftliche Veränderung unter einem Dach zu bündeln, erklärten die Studierenden.
Als wichtiges Ziel hat sich der Rat erwartungsgemäß auf die Fahne geschrieben, die Universitäten des Landes, die gemäß der Mentalität des Regimes strukturiert würden und somit in einen „Ausgangspunkt von Problemen und Konflikten“ geformt worden seien, in einen „gesellschaftlichen Hort der Autonomie und Freiheit“ zu verwandeln. Gelingt es, die universitäre Autonomie zu erreichen und damit die Überwachung und Disziplinierung der Hochschulen durch das Regierungsbündnis aus AKP und MHP und dessen System der Zwangsverwaltung zu überwinden, ist dies ein guter Ansatz, in allen Bereichen der Gesellschaft „freiheitliche und demokratische Lebensräume“ zu gestalten und Akzente für eine lebenswerte Zukunft zu setzen.
Gleiche Rechte und Pflichten für alle
Die Deklaration des Demokratischen Studierendenrats entwirft die Vision einer auf den Prinzipien der Gleichberechtigung der Völker, Demokratie und Frauenbefreiung basierenden Gesellschaft, in der alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten besitzen. Aus dem Programm lasen Nazgül Çamur auf Kurdisch und Doğukan Akbaba auf Türkisch vor. Zunächst wurde auf die Repression an den Universitäten durch den Hochschulrat (YÖK), das zentrale staatliche Kontrollgremium, hingewiesen: „Allzu demokratische Forderungen von Studierenden werden durch Folter, Festnahmen und Verhaftungen unterdrückt. Obwohl die Türkei und Kurdistan bekanntermaßen Vielvölkerregionen sind, verweigert der Staat das Recht auf Bildung in der Muttersprache. Es versucht weiterhin eine übergeordnete Identität durchzusetzen und nährt den Faschismus. Auf dieser Grundlage hat die hundertjährige Verleugnungs- und Vernichtungspolitik weiterhin Bestand, vor allem gegenüber dem kurdischen Volk. Studierenden, die aus Kurdistan an die Universitäten in türkischen Metropolen kommen, wird auf dem Campus weder ein sozialer noch ein sprachlicher oder kultureller Lebensraum zuerkannt. Diejenigen, die dies einfordern, werden Opfer von Angriffen faschistischer Mobs, die von Polizei und Hochschulleitung organisiert und unterstützt werden.“
Gegen Frauen-Universitäten und Sexismus an der Akademie
Die Pläne der Regierung, sogenannte Frauen-Universitäten in der Türkei einzuführen, lehnt der Demokratische Studierendenrat entschieden ab. Ein Bildungssystem mit Geschlechtertrennung zu etablieren sei Teil eines langfristig angelegten Plans, „einen neuen Typen von Frau ganz in Erdoğans Sinn“ zu schaffen. Durch Sexismus im akademischen Bereich verfolge das männlich-hegemoniale und patriarchale Regime die Festigung der eigenen geschlechterpolitischen Ideologie bei der jüngeren Generation. Es sei zwingend notwendig, für wissenschaftliche und kostenlose Bildung frei von geschlechtsspezifischem Sprachverhalten an demokratisch-autonomen Universitäten zu kämpfen. „Dieser Aufruf richtet sich an junge Menschen mit kurdischem Hintergrund, deren Recht auf muttersprachliche Bildung seit ihrer Geburt missachtet wird. Sie werden die Ohrfeigen, die sie in der Grundschule von ihren Lehrerinnen und Lehrern wegen des Gebrauchs der kurdischen Sprache kassierten, nicht vergessen haben. Der Aufruf richtet sich an all die jungen Frauen, die durch das vom männlichen Bildungssystem der patriarchalen Herrschaft einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt sind, sowie Belästigungen, Vergewaltigungen und allen anderen Arten von Gewalt erfahren. Unser Aufruf ist adressiert an die studierende Jugend, deren grundlegendsten Rechte usurpiert werden – und die sich trotz Angriffen, Disziplinarverfahren des YÖK, Verweisen von der Uni, Festnahmen und Verhaftungen von ihrem Widerstand nicht abbringen lassen.“
Befreiung ist keine individuelle sondern eine gesellschaftliche Aufgabe
Die Deklaration betont, dass der Kampf um Bildung nur ein Schritt in Richtung des Ziels sei, eine „demokratische und frauenbefreie Gesellschaft“ aufzubauen. „Befreiung ist keine individuelle sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Unsere Antwort auf den uns auferlegten sozialen Tod wird sein, mit unserer organisierten Kraft ein freies Morgen zu errichten. Mit dem Versprechen, das Vermächtnis der 68er-Bewegung zu bewahren, das uns Vorkämpfer wie Mahir Çayan, Ibrahim Kaypakkaya, Haki Karer und Mazlum Doğan hinterlassen haben, und ihre an uns übergebene Fahne in eine freie Zukunft zu tragen; und im Gedenken an unsere ermordeten Weggefährten Aydın Erdem, Şerzan Kurt, Kemal Kurkut und viele weitere gibt der Demokratische Studierendenrat seine Gründung bekannt.“