Studierende formieren Widerstandsbewegung gegen Treuhandregime
Die Studierenden an der Istanbuler Boğaziçi-Universität sind zur Fortsetzung ihres Widerstands gegen die Einsetzung eines AKP-Politikers als Rektor entschlossen.
Die Studierenden an der Istanbuler Boğaziçi-Universität sind zur Fortsetzung ihres Widerstands gegen die Einsetzung eines AKP-Politikers als Rektor entschlossen.
Mit der Ernennung von fünf Hochschulrektoren löste Recep Tayyip Erdogan nach der Jahreswende heftige Auseinandersetzungen an türkischen Universitäten aus. Die Einmischung des Präsidenten in das Amt der Rektoren stellt einen autoritären Akt dar, der weite Kreise zieht. Insbesondere die Einsetzung des AKP-Parteigängers Melih Bulu als Leiter der Istanbuler Boğaziçi-Universität hat einen Protest losgetreten, wie es ihn an türkischen Universitäten lange nicht mehr gegeben hat. Trotz Polizeigewalt und Festnahmewellen ließen sich die Proteste bisher nicht niederschlagen, sondern dauern weiter an.
Griff nach den Universitäten nach dem Putschversuch am 2016
Am 12. September 1982, zwei Jahre nach dem Militärputsch, wurde auf Grundlage von Artikel 131 der türkischen Verfassung der Hochschulrat (YÖK) als zentrales staatliches Kontrollgremium der Hochschulen geschaffen, der für die Wahl der Universitätsrektoren entscheidend war. Nach dem Ende der Militärjunta erlangten die Universitäten zwar eine gewisse Autonomie, auch wenn diese nie eine absolute Meinungsfreiheit oder ein echtes Wahlrecht bei der Ernennung der Rektoren bedeutete. Das änderte sich aber mit der Umstellung auf das Präsidialsystem, durch das sich Erdogan auch den Zugriff auf die Hochschulen gesichert hat. Bereits mit dem Ausnahmezustand nach dem Putschversuch vom Juli 2016 war den Hochschulen das Recht entzogen worden, ihre Direktoren selbst zu wählen. Die Notstandsituation verhinderte, dass sich eine starke Opposition gegen diese Ernennungen formieren kann. Seit Inkrafttreten des Ein-Mann-Regimes ist Erdogan allein berechtigt, Rektoren an Universitäten einzusetzen.
Treuhandregime aus den kurdischen Provinzen schon lange bekannt
Die Proteste an der Boğaziçi-Universität stellen einen neuen Aufbruch an den Hochschulen dar und finden nicht nur auf dem Campus, sondern auch auf den Straßen statt. Auch das Lehrpersonal setzt seinen Protest seit dem ersten Tag der Ernennung Bulus zum Rektor fort, wenn auch schweigend. Am 21. Januar fand im Istanbuler Stadtteil Kadiköy ein ähnlich großer Protest wie bereits zu Beginn der Widerstandswelle statt, an dem sich wieder die Studierendenschaft etlicher anderer Universitäten beteiligte. Die Studierenden erklärten: „Wir kennen diese Mentalität der Zwangsverwaltung aus dem Raub des demokratischen Willens der kurdischen Bevölkerung. In den kurdischen Städten wird den Menschen durch die Zwangsverwaltung das aktive und passive Wahlrecht gestohlen. Diese Mentalität erhebt Ansprüche auf die Gebärmütter der Frauen und hetzt zum Angriff gegen die Identität von LGBTI+.“ Ihre Forderungen listeten die Studierenden wie folgt auf: Rücktritt der Zwangsverwalter an Hochschulen, demokratische Wahlen von Rektoren durch die Lehrkräfte, Studierende und das Personal an den Universitäten.
Regierung versucht Proteste unter Kontrolle zu bekommen
Wir haben mit einigen Teilnehmenden der Studierendenproteste gesprochen, ihre Namen wollen sie aus Sicherheitsgründen hier aber nicht lesen. Eine Person aus der Gruppe erklärte: „Die Ernennung von Treuhändern in Kommunen und Universitäten ist eine Folge von Erdoğans Streben nach totaler Kontrolle. Wir glauben natürlich nicht, dass es sich bei der Ernennung des Rektors über die Boğaziçi-Universität um einen Sonderfall handelt.“ Zu den Angriffen auf die Universität sagte jemand anders: „Erdoğan empfindet gegen diese Universität einen besonderen Hass, weil sie nicht konservativ ist. Er versucht sie unter seine Kontrolle zu bringen. So etwas ist schon früher geschehen. Obwohl Gülay Barbarosoğlu die Wahl gewonnen hatte, wurde Mehmet Özkan ernannt. Damals haben wir als Studierende protestiert, aber einige Fakultätsmitglieder meinten, es könnte schlimmer kommen, da Özkan zumindest aus der Universität war. Daher haben sie ihn akzeptiert. Nach dem Putsch gab es keine Bedingungen mehr für den Protest und daher war er schnell am Ende. Wir wollen auch sagen, wir sind nicht gegen diesen Mann als Person, wir sind gegen Zwangsverwaltung. Das ist es, was wir in erster Linie nicht bereit sind hinzunehmen. Aber natürlich stellen die AKP-Kandidatur Melih Bulus und die Tatsache, dass er von außerhalb der Universität kommt, wichtige Faktoren für unseren Protest dar. Seine Antrittserklärung war einfach nur schlimm. Er will die Boğaziçi-Universität in ein Unternehmen transformieren. Diese Hochschule mit ihren freiheitlichen Werten soll in einen der neoliberalen Politik der AKP entsprechenden Konzern umgewandelt werden, der Profit bringt.“
Protest muss sich auf alle Universitäten ausbreiten
Um das zu verhindern und die letzten Bastionen wissenschaftlicher und akademischer Freiheit zu verteidigen, sind die Studierenden bereit, an ihrem Widerstand festzuhalten. Absolventen, Studierende und Lehrpersonal gehen auf die Barrikaden, organisieren sich aber getrennt. „Im Jahr 2016 war der Druck durch die Polizei sehr hoch. Bei den Efrîn-Protesten war es genauso. Die Repression geht jetzt auch weiter. Die Universität ist umstellt und Studierende werden als Spitzel angeworben“, sagt einer der Studierenden. Früher seien an diesem Punkt die Proteste zu Ende gewesen, aber jetzt wachsen sie sogar an. Der Staat schafft es nicht, den Widerstand durch Manipulation und Diffamierung als Terrorpropaganda zu marginalisieren. „Wir versuchen als Studierende, die Polizeiblockade in Hisarüstü und Boğaziçi zu durchbrechen und unsere Proteste über die Universitäten hinaus auszuweiten. In diesem Sinne haben wir am 21. Januar in Kadıköy protestiert. Wir arbeiten daran, die anderen Universitäten, die Istanbul-Universität, die Studierenden in Dicle, Ege und Ankara miteinzubeziehen, denn überall herrscht ein Zwangsverwaltungsregime.“