Die Kölner Sängerin Hozan Canê muss vorerst in einem türkischen Gefängnis bleiben. Bei einer Neuverhandlung des Falles in der westtürkischen Stadt Edirne ordneten die Richter eine Fortsetzung der Untersuchungshaft an. Das Gericht begründete die Entscheidung mit dem noch ausstehenden Ergebnis einer medizinischen Untersuchung zum Gesundheitszustand der Musikerin.
Hozan Canês Rechtsanwältin Newroz Akalan kritisierte, die Fortsetzung der Untersuchungshaft komme einem Strafvollzug gleich. Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Frank Schwabe, der den Prozess beobachtete, zeigte sich enttäuscht. „Das ist nicht das, was wir uns erhofft haben, Hozan Canê ist zu Unrecht im Gefängnis”, sagte er. Der Prozess gegen die Sängerin sei ein „herausgehobener” Fall, fügte Schwabe hinzu. Auch Vertreter des deutschen Generalkonsulats in Istanbul beobachteten das Verfahren.
Hozan Canê, die mit bürgerlichem Namen Saide Inaç heißt, wurde einen Tag vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2018 in Edirne festgenommen. Die kurdische Musikerin hatte dort den Wahlkampf der Demokratischen Partei der Völker (HDP) unterstützt. Im November desselben Jahres wurde sie wegen angeblicher „Mitgliedschaft in der PKK“ zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Kassationshof in Ankara, das oberste Gericht in der Türkei, kassierte dieses Urteil jedoch ein und ordnete eine Neuverhandlung an, weil die vorgelegten Beweise für eine angebliche „PKK-Mitgliedschaft” unzureichend seien. Die Anklage hatte sich größtenteils auf Inhalte von Facebook- und Twitter-Profilen gestützt. Auch wurde Hozan Canê vorgeworfen, in einem Spielfilm eine YPJ-Kämpferin dargestellt zu haben. Deshalb wurde der Fall nun neu aufgerollt.
Hozan Canê, die heute per Videoschalte aus dem Gefängnis in Istanbul in die Verhandlung eingebunden wurde, wies unter Tränen die Anschuldigungen gegen sie zurück. Die entsprechenden Profile gehörten ihr nicht, sie singe nur Lieder und verdiene ihren Lebensunterhalt damit. Verbindungen zu einer „illegalen Organisation” habe sie noch nie gehabt. Hozan Canês Manager Mehmet Şerif Akbaş gab an, bei den Profilen, auf die sich die Anklage beziehe, handele es sich um Fake-Accounts, über die die Künstlerin keine Kontrolle gehabt habe. Hozan Canê selbst fügte hinzu, dass sie schweres Asthma habe und unter Bluthochdruck leide. „Seit der Haft hat sich mein gesundheitlicher Zustand verschlechtert. Jeden Tag wache ich mit Alpträumen auf.” Der Prozess wird am 3. September fortgesetzt.
Tochter ebenfalls im Visier der türkischen Behörden
Auch die Kölner Sozialwissenschaftlerin Gönül Dilan Örs, die zugleich die Tochter von Hozan Canê ist, wird von der türkischen Justiz verfolgt. Ihr wird „Propaganda“ für die kurdische Arbeiterpartei PKK, „Freiheitsberaubung unter Gewaltanwendung“ und „Entführung von Beförderungsmitteln“ vorgeworfen. Hintergrund des Verfahrens ist eine Protestaktion im Jahr 2012 auf einem Schiff in Köln. Eine Gruppe kurdischer Jugendlicher hatte kurzzeitig einen Ausflugsdampfer auf dem Rhein besetzt, um mit der Verlesung einer Erklärung auf den damals in Straßburg durchgeführten Hungerstreik gegen die Isolation Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen. Die Jugendlichen waren nach der Aktion vorübergehend festgenommen worden.
In Deutschland wurde das Ermittlungsverfahren gegen Gönül Dilan Örs in diesem Fall eingestellt. Die türkische Ermittlungsakte stützt sich jedoch auf damalige Informationen eines BKA-Kontaktbeamten. Nachdem Hozan Canê im Frühjahr 2019 bis zum Vollzug ihrer Strafe freigelassen worden war, reiste ihre Tochter im Mai 2019 nach Istanbul, um ihre Mutter zu besuchen. Dort wurde sie festgenommen, anschließend wieder freigelassen und mit einer Ausreisesperre belegt. Eine ganze Weile stand sie deshalb mit einer elektronischen Fußfessel unter Hausarrest. Erst Mitte Juni wurde diese Entscheidung aufgehoben.