Das oberste türkische Gericht hat das Urteil gegen die Sängerin Hozan Canê aufgehoben. Gemäß dem Urteil des Kassationshofs in Ankara muss sich nun die Vorinstanz noch einmal mit dem Fall der 49 Jahre alten Kölnerin befassen.
Hozan Canê, die mit bürgerlichem Namen Saide Inaç heißt, wurde im November 2018 in Edirne wegen angeblicher „Mitgliedschaft in der PKK“ zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die kurdische Musikerin hatte den Wahlkampf der Demokratischen Partei der Völker (HDP) unterstützt und wurde am 23. Juni 2018, einen Tag vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, in Edirne festgenommen und anschließend inhaftiert. Ihr wird vorgeworfen, in einem Spielfilm eine YPJ-Kämpferin dargestellt und kritische Beiträge in Online-Netzwerken verbreitet zu haben.
Nach Angaben von Agit Keser, einem Neffen von Hozan Canê, beurteilte der Kassastionshof alle vorgelegten Beweise für eine „PKK-Mitgliedschaft” als unzureichend. Nach türkischem Strafrecht hätte sie demnach höchstens wegen „Propaganda für eine verbotene Organisation” angeklagt und zu maximal zweieinhalb Jahren Haft verurteilt werden können. „Das wiederum würde bedeuten, dass sie sofort freigelassen werden müsste, da sie bereits seit zwei Jahren im Gefängnis ist”, so Keser. Der Termin für eine Neuaufnahme des Prozesses ist voraussichtlich der 6. August 2020.
Verfahren gegen Gönül Örs am 16. Juni
Auch die Kölner Sozialwissenschaftlerin Gönül Dilan Örs, die zugleich die Tochter von Hozan Canê ist, wird von der türkischen Justiz verfolgt. Der Prozess gegen die 36-Jährige, der Terrorpropaganda, Freiheitsberaubung unter Gewaltanwendung und „Entführung oder Beschlagnahmung“ von Beförderungsmitteln vorgeworfen werden, beginnt am 16. Juni in Istanbul. Hintergrund des Verfahrens ist eine Protestaktion im Jahr 2012 auf einem Schiff in Köln. Eine Gruppe kurdischer Jugendlicher hatte kurzzeitig einen Ausflugsdampfer auf dem Rhein besetzt, um mit der Verlesung einer Erklärung auf den damals in Straßburg durchgeführten Hungerstreik gegen die Isolation Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen. Die Jugendlichen waren nach der Aktion vorübergehend festgenommen worden.
In Deutschland wurde das Ermittlungsverfahren gegen Gönül Dilan Örs in diesem Fall eingestellt. Die türkische Ermittlungsakte stützt sich auf damalige Informationen eines BKA-Kontaktbeamten. Nachdem Hozan Canê im Frühjahr 2019 bis zum Vollzug ihrer Strafe freigelassen worden war, reiste ihre Tochter im Mai 2019 nach Istanbul, um ihre Mutter zu besuchen. Dort wurde sie festgenommen, anschließend wieder freigelassen und mit einer Ausreisesperre belegt. Inzwischen ist sie mit einer elektronischen Fußfessel im Hausarrest in der Wohnung eines Onkels in Manisa.