EUTCC-Konferenz: Kurden stellen Alternative

Auf der kurdischen Konferenz im Europaparlament ist gestern Nachmittag über Perspektiven und Lösungsansätze im Mittleren Osten diskutiert worden.

Auf der 15. Kurdischen Konferenz im Europaparlament ging es in Brüssel in den vergangenen beiden Tagen um die Menschenrechtssituation in der Türkei, die Isolation Öcalans, die Bedeutung der internationalen Solidarität und die Antworten der Kurden auf die Krisen im Mittleren Osten.

Gestern Nachmittag wurden die Revolution von Rojava, das Modell der Demokratischen Autonomie in Mexmûr, der Wiederaufbau Nordsyriens und die Notwendigkeit einer internationalen Allianz zur Streichung der PKK von der EU-Terrorliste diskutiert.

Anselm Schindler: Rojava ist eine demokratische Revolution

Der Historiker Anselm Schindler berichtete, unter welchen Bedingungen die Türkei geschaffen wurde und dass es sich bei ihr um ein nationalistisches und rassistisches Konstrukt handelt. Im Beitrag Schindlers unter dem Titel „Die Demokratische Syrien Föderation: Eine demokratische Idee im Mittleren Osten“ wurde das nationalstaatliche Konzept als hochproblematisch für die Diversität religiöser und ethnischer Komponenten vorgestellt. Schindler sprach auch über das Modell Rojava. Der Historiker erzählte, die Revolution sei am Anfang von der PYD geführt worden und habe in ein demokratisch-konföderales System gemündet. Schindler berichtete über die dortigen Kommunen und sagte: „Es war eine demokratische Revolution, die darauf abzielte, jeden Lebensbereich zu demokratisieren. In allen Bereichen wurden Friedenskomitees aufgebaut und die Produktionsmittel befinden sich in den Händen der Bevölkerung.“ Im Gegensatz zum nationalstaatlichen Modell basiere die Nordsyrienföderation auf verschiedenen Identitäten, die friedlich zusammenleben. Das Erdoğan-Regime greife die Region jedoch immer wieder an.

Junge Stimmen aus Mexmûr

Es folgte ein Beitrag der EUTCC-Vorsitzenden Kariane Westrheim von der Universität Bergen mit dem Titel: „Junge Stimmen aus Maxmûr: Erfahrungen mit Bildung in der demokratischen Autonomie“.

Westrheim berichtete, dass sie mit 16- bis 20-jährigen Heranwachsenden in Mexmûr über das Thema Bildung gesprochen und einen Bericht darüber verfasst hat. „Diese jungen Menschen sind sehr entschlossen. Ihre Erwartungen an die Zukunft bieten Anlass zur Hoffnung. Sie brauchen unsere Unterstützung“, so Westrheim, die daran erinnerte, dass die Menschen in Mexmûr seit den 1990er Jahren unter schwierigen Bedingungen leben: „Zwölftausend Individuen haben sich zusammengeschlossen und eine Stadt aufgebaut. Diese Kollektivität wurde zum Thema vieler Bücher.“ Westrheim berichtete, dass die ersten Ansätze des demokratischen Konföderalismus im Sinne von Öcalans Ideen in Mexmûr entstanden sind: „Wir haben im Mittleren Osten nie dagewesene Fortschritte gesehen. Mittlerweile ist Maxmûr kein Projekt mehr, sondern ein Beispiel für gelebte Demokratie. In Maxmûr kann sich die Form der Bildung revolutionieren.“ Einer der entscheidenden Akteurinnen darin ist nach Westrheim die PKK.

Jacob: Im Mittleren Osten gibt es einen Hunger nach Freiheit

„Zwischen Auslöschung und politischer Mitbestimmung: Ethnische und religiöse Minderheiten im Mittleren Osten“ war das Thema des Vortrags von Simon Jacob vom Zentralrat Orientalische Christen in Deutschland. Er zeigte zunächst einen kurzen Film und berichtete anschließend, dass er selbst acht Jahre Krieg im Mittleren Osten erlebt habe und es dort einen großen Hunger nach Freiheit gebe.

Spyer: Stabilität in Nordsyrien ist auch für den Westen wichtig

Der Direktor des israelischen Rubin-Zentrums, Jonathan Spyer, sprach über die internationale Verantwortung für den Wiederaufbau von Rojava nach der Zerstörung von Kobanê und die internationale Anerkennung der demokratischen Föderation Nordsyrien. Er wies insbesondere darauf hin, dass die zerstörten Städte, allen voran Raqqa, dringende Hilfe beim Wiederaufbau benötigten. Spyer wies auf die zerstörerischen Absichten der Regionalmächte in Syrien hin und betonte, die USA und die EU müssten die Demokratische Föderation Nordsyrien unterstützen. „Eine Verbesserung der aktuellen Lage in Nordsyrien ist auch für die Interessen des Westens wichtig“, so Spyer.

Vergiat: Die PKK muss von der Terrorliste genommen werden

Unter der Überschrift „Die kurdische Frage und die EU: Die Entfernung der PKK von der Terrorliste“ referierte anschließend die französische Europaparlamentarierin Marie-Christine Vergiat. Sie erklärte, die Kurdinnen und Kurden hätten einen hohen Preis für die europäisch-türkischen Beziehungen gezahlt. In den Beitrittsverhandlungen der Türkei habe es seit 2005 keinen Fortschritt gegeben haben und Erdoğan liefere den Gegnern der Mitgliedschaft die argumentative Munition. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof zum PKK-Verbot und des EGMR zur Freilassung des ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş sei das Verfahren beschleunigt und seine Verurteilung sichergestellt worden. Vergia fuhr dazu fort: „Insofern bin ich neugierig auf die Reaktionen des Europarats. Die Türkei ist Gründungsmitglied und weist die Entscheidung des EGMR zurück.“ Vergiat kritisierte, dass trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs die PKK immer noch auf der Terrorliste sei und sprach von einem Doppelstandard, nach dem Gruppen von der Liste wieder entfernt würden: „Wenn die Staaten logisch agieren würden, dann würden sie die PKK von der Liste nehmen und damit ein starkes Signal für den Frieden aussenden. Das wäre auch ein wichtiges Signal für die Kurden in Syrien.“

Koç kritisiert Ausschluss von KNK-Mitglied Aydar

Die Ko-Vorsitzende des Kurdistan Nationalkongresses (KNK), Nilüfer Koç, hielt einen Vortrag mit dem Titel: „Der Mittlere Osten: Es sind globale Lösungen für globale Probleme notwendig – es besteht der Bedarf nach einer demokratischen internationalen Allianz“. Koç verurteilte, dass dem kurdischen Politiker Zübeyir Aydar, der am Vormittag auf der Konferenz referieren sollte, der Zutritt ins Europaparlament verwehrt wurde. Deshalb war Aydars Rede schriftlich eingereicht und unter großem Applaus vorgetragen worden. „Dies ist absolut inakzeptabel“, sagte Koç und forderte die auf der Konferenz befindlichen Abgeordneten auf, dazu klare Haltung zu beziehen.

Wir haben den einzigen Lösungsvorschlag

Danach wandte sich Koç der aktuellen Lage zu und erklärte, die Regionalmächte wollten weder eine Lösung noch Frieden. Frieden sei aber eine Forderung der Völker. Koç berichtete, das Lösungsmodell in Nordsyrien werde von der arabischen, aramäischen, turkmenischen und den anderen Bevölkerungsgruppen der Region positiv aufgenommen und unterstrich, dass eine internationale, demokratische Allianz nötig sei. „Wir haben die einzige Alternative. So können die Völker in der Region Frieden aufbauen, andernfalls geht das Blutvergießen weiter. Es ist möglich, den Weg in eine demokratische Konföderation einzuschlagen. Diese Antwort betrifft nicht nur die Kurdinnen und Kurden, es handelt sich um die einzige Alternative für die Region“, so Nilüfer Koç, die betonte, dass diese Alternative von allen Völkern der Region angenommen werde: „Solidarität mit den Kurden bedeutet Solidarität mit einem demokratischen Projekt.“

Koç warnte außerdem, die Auslobung von Kopfgeldern auf Führungskader der PKK und der Versuch der USA, die PKK in einen Krieg mit dem Iran zu ziehen, könne zu einem neuen Krieg führen, der große Zerstörung bringen würde.