EUTCC-Konferenz: Türkei kein Rechtsstaat!
Auf den ersten Panels der 15. EUTCC-Konferenz zur kurdischen Frage hatten Menschenrechtsverteidiger*innen das Wort.
Auf den ersten Panels der 15. EUTCC-Konferenz zur kurdischen Frage hatten Menschenrechtsverteidiger*innen das Wort.
Bereits zum 15. Mal findet im Europäischen Parlament die internationale Konferenz „Die Europäische Union, die Türkei, der Mittlere Osten und die Kurden” statt. Die zweitägige Konferenz, die heute begann, wird von der EU-Turkey Civic Commission (EUTCC), den Fraktionen GUE/NGL (Die Linke), The Greens | European Free Alliance (Die Grünen), den Socialists & Democrats (SPD) und dem Kurdischen Institut Brüssel organisiert.
Das erste Panel der Konferenz fand unter der Überschrift „Die Türkei, ein Staat ohne Rechtsstaatlichkeit“ statt.
Auf diesem ersten Panel sprachen der Menschenrechtsverteidiger Akın Birdal, die Ko-Vorsitzende des IHD-Büros Istanbul, Gülseren Yoleri, der Ko-Vorsitzende des IHD Öztürk Türkdoğan, der Anwalt Öcalans Ibrahim Bilmez, Thomas Schmidt, Generalsekretär der Europäischen Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt (ELDH) und der Generalsekretär des Ständigen Volkstribunals in Italien Gianni Tognoni.
Akın Birdal: Die Türkei hat sich in ein Gefängnis gewandelt
Der Menschenrechtsverteidiger Akın Birdal moderierte das Panel und warnte sowohl bezüglich der Lage der Menschenrechte weltweit, als auch in der Türkei. Birdal sagte zur kurdischen Frage: „Die kurdische Frage war eine Frage, die vor Ort gelöst hätte werden müssen. Aber da keine Lösung gesucht wurde, wurde sie zu einer regionalen Frage und schließlich zu einem internationalen Problem. Mit der Zeit wurde nichts verbessert, im Gegenteil, die Situation verschärft sich kontinuierlich.“ Zur Lage weltweit und in der Türkei sagte Birdal: „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“ Die Türkei „hat sich in ein Gefängnis verwandelt“, insgesamt 264.000 Menschen sind in dem Land inhaftiert.
Gülseren Yoleri: Alle sind von Folter bedroht
Gülseren Yoleri, Ko-Vorsitzende des IHD-Büros von Istanbul, sprach über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und sagte: „In der Türkei hat es immer Folter gegeben, aber in den letzten Jahren hat sie ein neues Ausmaß erreicht. Wir haben Berichte vorliegen welche nahelegen, dass sie die Folterwerkzeuge aus den 80er Jahren behalten haben und diese wieder in den Dienst gestellt haben.“ Yoleri betonte, alle Menschen in der Türkei seien von Folter bedroht. Bezüglich der Situation der Frauen wies sie auf eine starke Erhöhung der Frauenmorde hin. Dieser Feminizid werde durch die frauenfeindliche Regierungspolitik gefördert. Außerdem sind mehr als zwei Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen, 53 Prozent dieser Kinder haben keinen Zugang zu Bildung. Die Türkei liegt auch bezüglich Kinderarmut im europäischen Vergleich weit vorne.
„Türkei ist kein Rechtsstaat“
Yoleri berichtete weiter über das Problem der Kinderehen, die Inhaftierung von Kindern und die schlechte Situation der Schutzsuchenden in der Türkei. Zu der Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Freilassung des ehemaligen Vorsitzenden der HDP Selahattin Demirtaş sagte sie: „In der Türkei herrscht ein gravierender Mangel an Rechtsstaatlichkeit.“ Die Türkei habe den Boden des Rechts verlassen. Sie zählte eine Reihe von Problemen, wie illegale Verhaftungen, das Verbot der Demonstrationen der Samstagsmütter, Repression gegen freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit, die Inhaftierung von Journalist*innen und die lange Festnahmedauer auf.
Öztürk Türkdoğan: Die Freiheit von 800.000 Menschen wurde eingeschränkt
An dritter Stelle redete der Ko-Vorsitzende des IHD, Öztürk Türkdoğan. Er leitete seine Rede mit den Worten „Widerstand gegen Tyrannei ist immer ein Recht" ein. Er berichtete über die Zustände in türkischen Gefängnissen. Demnach existieren in der Türkei 211.000 Haftplätze, die Gefängnisse sind aber mit 260.000 Inhaftierten vollkommen überbelegt. Dies führt unter anderem dazu, dass viele Gefangene in Schichten schlafen müssen. Viele weitere Menschen sind auf Bewährung frei und ständig in Gefahr, wieder inhaftiert zu werden. Die Freiheit von 800.000 Menschen wurde in der Türkei juristisch durch Auflagen beschränkt. Türkdoğan bezeichnete dies als beispielhaft für das autoritäre Agieren des Staates.
Es gibt keine Verfassung, und die Menschenrechte wurden instrumentalisiert
Türkdoğan sprach ebenfalls über die Situation von Öcalan und sagte, die Isolation von Imralı habe sich auf die gesamte Türkei ausgeweitet. Der Umgang mit Öcalan gehe aber weit über die Isolation hinaus. Zu den F-Typ-Gefängnissen erklärte er: „Die Türkei hält sich nicht einmal an ihre eigenen Gesetze. Die Gerichte schauen einfach zu. Das Land ist nicht mehr rechtsstaatlich, das meinen wir mit dem Fehlen einer Verfassung. Wenn ein Land seine eigenen Gesetze nicht einhält, dann herrscht dort grobe Willkür. Die Menschenrechte wurden instrumentalisiert. “
Probleme in anderen Gefängnissen können nicht gelöst werden, so lange die Situation auf Imralı weiterbesteht
Er bezog sich in seiner Rede ebenfalls auf den Hungerstreik der inhaftierten Abgeordneten der HDP Leyla Güven, die sich seit fast vier Wochen im Hungerstreik gegen die Totalisolation Öcalans befindet und sagte: „Es gibt wirklich nichts mehr hinzuzufügen, wenn eine Parlamentsabgeordnete in den Hungerstreik tritt, weil ein Land seinen eigenen Gesetzen nicht nachkommt.“ Zur Weigerung des EU-Antifolterkomitees, Imralı zu besuchen, sagte er: „Wir müssen darauf hinweisen, dass das Problem seinen bisher absoluten Tiefpunkt erreicht hat. Ich glaube nicht, dass das Problem in anderen Gefängnissen gelöst werden kann, wenn das Problem von Imralı nicht zuerst gelöst wird.“
Anwalt Bilmez: Absolute Isolation auf Imralı
Die zweite Moderatorin, Rechtsanwältin Heike Geisweid, gab nun das Wort Ibrahim Bilmez, Verteidiger Öcalans vom Anwält*innenbüro Asrin. Bilmez sagte, auf Imrali habe sich alles verschlechtert: „Die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr, sie hat nicht einmal mehr Gesetze.“ Bilmez erklärte weiter, alles was passiert sei, hänge mit der Haltung des Staates gegenüber Öcalan zusammen: „Der Rechtsbruch von Imralı begann mit dem Komplott im Jahr 1999.“ Bilmez kritisierte die Haftbedingungen Öcalans als rechtswidrig. Öcalan habe seit Jahren keinerlei Besuch mehr empfangen können: „Im Moment ist auf Imralı alles noch viel schlimmer.“ Er spricht von einer Totalisolation auf Imralı, so dass es nicht einmal mehr die Möglichkeit einer telefonischen oder schriftlichen Kommunikation gäbe.
Der Anwalt forderte die europäischen Institutionen zu mehr Mut auf: „Wenn es um Kritik an der Türkei geht, dann muss diese rechtzeitig kommen. Sonst beenden die AKP und ihr Führer den Ausbau des von ihnen präferierten Systems. Dann spielt es keine Rolle mehr, was dann noch gesagt wird.“
Thomas Schmidt, Generalsekretär der Jurist*innenvereinigung ELDH sagte, dass man ein deutliches Zeichen an die Türkei und die EU senden wolle. Er wies auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur PKK hin und sagte: „Warum zieht die EU diese Entscheidung nicht in Betracht?“ Schmidt sprach weiter über die Rechtsverletzungen in der Türkei.
Gianni Tognoni, Generalsekretär des Ständigen Volkstribunals (PPT), sprach über die Funktionsweise des PPC. Tognoni bezeichnete Erdoğan als einen Diktator und betonte, dass die Autonomie der Kurd*innen anerkannt werden müsse: „Die Türkei ist zu einem geopolitischen Thema für Europa geworden. Aber niemand macht sich Gedanken darüber, was dort passiert.“