Das Europäische Parlament hat die Haftstrafe gegen den Philanthropen Osman Kavala scharf verurteilt und die Türkei aufgefordert, den 64-Jährigen und seine Mitangeklagten umgehend und bedingungslos freizulassen. In einer am Donnerstag verabschiedeten Resolution fordern die Abgeordneten in Straßburg die Regierung in Ankara auf, sich nicht länger in die Belange der Justiz einzumischen und alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vollständig umzusetzen.
Ein Gericht in Istanbul hatte den seit 2017 inhaftierten Kavala vergangene Woche wegen des Vorwurfs des versuchten Regierungsumsturzes zu erschwerter lebenslanger Haft ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt. Der EGMR hatte bereits Ende 2019 seine Freilassung gefordert und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Ankara folgte dem Straßburger Gericht nicht, obwohl Urteile des EGMR für die Türkei als Mitglied des Europarats bindend sind. Sieben Mitangeklagte; Mücella Yapıcı, Can Atalay, Tayfun Kahraman, Ali Hakan Altınay, Yiğit Ali Ekmekçi, Çiğdem Mater Utku und Mine Özerden, die gleichzeitig mit Kavala vor Gericht erschienen, wurden zu 18 Jahren Haft verurteilt. Sie wurden beschuldigt, den Kulturförderer unterstützt zu haben.
Mit der Entscheidung, sich „unverhohlen“ über die rechtlich bindenden Urteile des EGMR im Fall Osman Kavala und anderen hinwegzusetzen, habe die Türkei „vorsätzlich alle Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme ihres EU-Beitrittsverfahrens, die Eröffnung neuer Kapitel und die Schließung offener Kapitel zerstört“, heißt es in der auf Initiative der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) eingebrachten und mehrheitlich angenommenen Entschließung. Jede Verbesserung der offiziellen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sollte deshalb von der tatsächlichen Verbesserung der Lage der Bürger- und Menschenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei abhängen.
Osman Kavala sei wegen ungerechtfertigter Vorwürfe und mit dem Hintergedanken verurteilt worden, ihn als Menschenrechtsverteidiger zum Schweigen zu bringen und mit dem Urteil eine abschreckende Wirkung auf kritische Stimmen in der Türkei zu erzielen, so die Abgeordneten. In der vorangegangenen Plenardebatte bezeichnete der Türkei-Berichterstatter Nacho Sánchez Amor (S&D) den Schuldspruch gegen Kavala als „grausame Strafe für einen unschuldigen Mann und eine Verhöhnung der Gerechtigkeit“. Es handele sich um eine klare politische Botschaft der Regierung in Ankara, die sich der Konsequenzen ihrer eklatanten Missachtung der EGMR-Urteile aber durchaus bewusst sei. „Es ist also die derzeitige Regierung der Türkei - nicht dieses Parlament, nicht die Kommission, nicht der Rat und auch nicht irgendein Mitgliedstaat -, die jede Perspektive, den EU-Beitrittsprozess wieder in Gang zu bringen, absichtlich zerstört hat. Sie haben diese Tür geschlossen, die nur für eine andere Türkei geöffnet werden kann“, so Amor.
Die EU-Abgeordneten zeigen sich auch besorgt darüber, dass sich Teile der türkischen Justiz „immer weniger“ an die Urteile des eigenen Verfassungsgerichts halten würden. Gefordert wird, dass die Staatsorgane der Türkei alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen, mit denen gegen die „derzeitige verhängnisvolle Lage der Justiz“ vorgegangen und ihre Unabhängigkeit wiederhergestellt wird, um die „Unparteilichkeit sämtlicher Justizorgane“ des Landes zu gewährleisten und sie vor politischer Einflussnahme zu schützen.