Erneut sind in Deutschland Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Kriegspolitik der Erdoğan-Regierung zu protestieren. In Hamburg versammelten sich am Donnerstagabend wieder Vertreter*innen eines breiten Bündnisses emanzipatorischer und linker Kräfte, um ihre Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung gegen die militärischen Angriffe des türkischen Staates zu zeigen. In der Mönckebergstraße unweit des Hauptbahnhofs machten sie Passanten mit Transparenten und Sprechchören auf die verbrecherische Politik des AKP-Regimes aufmerksam.
Die Ko-Vorsitzende der Hamburger Linksfraktion, Cansu Özdemir, verurteilte in einer Ansprache den Krieg gegen kurdische Zivilist*innen, die zuvor oftmals bereits vor dem sogenannten IS geflohen waren, und die deutschen Waffenlieferungen an das türkische Regime, das hunderte demokratisch gewählte HDP-Abgeordnete ins Gefängnis geworfen habe.
Die 31-jährige Politikerin wies auch auf den Aufruf zahlreicher Abgeordneter an die Bundesregierung hin, als führendes Mitglied des Rats der Europäischen Union stärker auf die Türkei hinsichtlich der menschenrechtlichen Lage einzuwirken. Der Appell war von Özdemir und Gökay Akbulut (MdB DIE LINKE) initiiert und von insgesamt 33 Abgeordneten des Bundestags und deutscher Landesparlamente von der Linkspartei, den Grünen, FDP und SPD unterzeichnet worden. Die CDU war nicht bereit, den Aufruf zu unterstützen.
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Özdemir bekräftigte weiter die Forderung an die Bundesregierung, die Beziehungen mit der Türkei einzustellen und den Kniefall vor dem türkischen Regime zu beenden.
Eine Vertreterin des feministischen Bündnisses „Gemeinsam kämpfen“ erklärte, dass die Kriegserklärung des islamistischen AKP-Staates gegen die demokratischen Kräfte in der Region zeige, dass das System sich im Krieg mit der Gesellschaft befinde.
Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland (KON-MED) verurteilte die Finanzierung des türkischen Staatsterrors durch EU-Hilfsgelder im Rahmen des „Flüchtlingsdeals“ und rief zu einer Solidarisierung mit den betroffenen Menschen der Region im Geiste moralischer und ethischer Werte jenseits geopolitischer Machtinteressen auf.
Auch Vertreter*innen des Bündnisses „Demokratische Kräftevereinigung” (türk. Demokratik Güç Birliği), von „Young Struggle“ und „Proletarischer Jugend“ riefen zu Solidarität mit den Opfern des AKP-Faschismus auf.
Nach der Kundgebung befestigten Aktivist*innen ein Banner mit der Aufschrift „Antikolonialer Widerstand Weltweit. Mexmûr - Qandîl - Şengal – Heftanîn“ an dem Geländer zwischen dem Museum für Kunst und Gewerbe und den Bahnsteigen des Hauptbahnhofs und gaben weithin sichtbar ein leuchtendes Zeichen des Widerstands.
Bonn: Die Menschen sterben nicht, sie werden ermordet!
In Bonn zogen Mitglieder des kurdischen Vereins vor die Außenstelle der Europäischen Kommission. Die Losung lautete: „Wir sagen nicht einfach nur Nein, wir gehen in Aktion, tragen unsere Wut auf die Straße und stehen für unsere Geschwister ein, die von der neo-osmanischen Großmachtsphantasie des türkischen Staates unterdrückt, ermordet und verhaftet werden.”
Ein Aktivist, der sich an der Demonstration beteiligte, erklärte: „Wir nehmen nicht länger hin, dass unsere Freundinnen und Freunde tagtäglich gegen den türkischen Faschismus aufmarschieren, ob in der (noch) existierenden Opposition des Erdoğan-Regimes, in der tagtäglichen Angst zu verschwinden, oder den Menschen in den Bergen, die darauf gefasst sind, tagtäglich getötet zu werden, weil sie für eine Menschheit einstehen, in der jede und jeder frei leben kann.”
Die Türkei morde, wer das nicht sehen wolle, dazu schweige oder die Augen verschließe und nicht laut aufschreie, mache sich zum Mittäter derjenigen, „die gerade wieder munter die ezidische Bevölkerung ermorden”. Die Bundesregierung müsse endlich einsehen, dass in der Geschichte der Türkei die Verfolgung von Minderheiten, besonders des kurdischen Volkes, Tradition hat und an jedem Tag, an dem keine Positionierung gegen Erdoğan stattfindet, der Faschismus einen Schritt mehr an Kraft gewinnt.
Nach weiteren Redebeiträgen und Sprechchören war es dann soweit, die Aktivist*innen nahmen sich das Recht, nicht bloß zu reden, sondern in Aktion zu gehen und einen Zuständigen der EU-Kommission zu sprechen.
In enger Begleitung der Polizei durften einige der Demonstrierenden eintreten und wurden zum Empfang begleitet, wo sie von einer Mitarbeiterin hinter Panzerglas erwartet wurden.
„Wir sprachen es klar an, die Situation der Eziden, den Femizid, den Überfall, der völkerrechtswidrige Angriff. Was wir bekamen, war ein Lächeln, ein Nicken und ein: ‚Danke!’. Dann wurden wir mit einem: ‚War es das jetzt?’ von der Polizei wieder nach draußen geschickt”, sagte ein Beteiligter und ergänzte: „Wir werden uns auch morgen, übermorgen und nächstes Jahr die Straße nehmen, bis der Faschismus besiegt ist. Unsere Herzen sind gefüllt von Kraft, von den Gedanken an ein besseres Morgen, von den grandiosen Menschen, die dafür gefallen sind, wir werden es uns niemals nehmen lassen.”
Protest vor Außenstelle EU-Kommission Bonn
Banneraktion in Gießen
Eine Gruppe von Internationalist*innen führte als Reaktion auf die Angriffe der Türkei in Südkurdistan in der Nacht zum Freitag eine spontane Demonstration mit anschließender Banneraktion in Gießen durch. Die seit Montag anhaltenden Angriffe sollten nicht lediglich als ein völkerrechtswidriger Akt gegen die lokale Zivilbevölkerung betrachtet werden, sondern ebenso als offene Kriegserklärung gegen alle Menschen, die von einer Welt frei von Patriarchat, Staat und Unterdrückung träumen, verstanden werden.
Eine Aktivistin ergänzte: „Nicht nur die ohrenbetäubende Stille der westlichen Staaten, sondern auch die falsche oder gänzlich fehlende Berichterstattung der meisten Medien zu den völkerrechtswidrigen Angriffen hierzulande sind nicht zu ertragen. Wir forden die sofortige Einstellung der Militäraktionen, Sanktionen gegen die Machthaber der Türkei und ein Ende der Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung.”