Die Demokratische Partei der Völker (HDP) ist die drittgrößte Partei im Parlament der Türkei. Seit 2021 läuft ein Verbotsverfahren gegen die Partei vor dem türkischen Verfassungsgerichtshof. Für die mündliche Verteidigung der HDP-Vorsitzenden ist ein Termin am 11. April anberaumt. Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis nach den Wahlen am 14. Mai wurde vom Gericht abgelehnt. Gleichzeitig hob das Verfassungsgericht jedoch die Anfang des Jahres verhängte Sperrung der öffentlichen Parteienfinanzierung gegen die HDP auf. Von den 15 Mitgliedern des Gerichts stimmten acht für die Aufhebung der Finanzblockade.
Wie die Gerichtsreporterin Seyhan Avşar vom Sender Halk TV am Donnerstag berichtete, hat ein ungenanntes Mitglied des Verfassungsgerichts ihr gegenüber gesagt, der türkische Präsident Erdoğan habe einige Mitglieder angerufen, die für die Aufhebung der Sperre gestimmt haben, und seine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht. Damit hat erstmalig ein Mitglied des Verfassungsgerichts das direkte Eingreifen der Regierung öffentlich gemacht.
Zu dem Vorfall hat sich Rechtsanwalt Serhat Eren von der HDP-Kommission für Recht und Menschenrechte gegenüber ANF geäußert. Der HDP-Politiker erklärte: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Klage gegen unsere Partei politisch ist. Wir haben erklärt, dass es keinen juristischen Aspekt in diesem Fall gibt und das Verfahren auf Druck der Regierung und im Zuge einer politischen Lynchkampagne eingeleitet wurde. Wenn wir noch weiter zurückgehen, kommen wir zur der nach 2015 gestarteten vieldimensionalen Operation gegen unsere Partei. Bereits damals wurde unsere politische Vernichtung beschlossen. Es handelte sich um eine Operation, die darauf abzielte, die Kurdinnen und Kurden, die den Hauptteil unserer Partei ausmachen, vollständig aus der politischen Arena zu liquidieren und sie handlungsunfähig zu machen. Die Idee der HDP sollte vollständig eliminiert werden.“ Dieses Vorhaben sei Teil des 2014 vom Staat beschlossenen Vernichtungsplans (Çöktürme Planı) gegen die kurdische Bewegung gewesen, der seit dem einseitigem Abbruch der Gespräche über eine Lösung der kurdischen Frage durch Erdoğan umgesetzt wird, sagte Serhat Eren. Die HDP habe diesen Zusammenhang ständig zur Sprache gebracht.
Bereits die Kontensperrung war illegitim
Rechtsanwalt Eren wies auch darauf hin, dass bereits die Finanzsperre durch das Verfassungsgericht keine Rechtsgrundlage hatte: „Der Generalstaatsanwalt des Kassationsgerichtshofs hatte zweimal die Sperrung der Konten, auf denen sich die staatlichen Beihilfen befanden, beantragt, doch das Verfassungsgericht hatte diesen Antrag abgelehnt. Am 5. Januar, also kurz vor dem Zeitpunkt, an dem die Finanzhilfe ausgezahlt werden sollte, hat das Verfassungsgericht auf Antrag des Generalstaatsanwalts des Kassationsgerichtshofs diesen Umstand berücksichtigt und unsere Konten gesperrt, obwohl es keinen Unterschied zu den früheren Anträgen gab. Dieses Vorgehen ist im Gründungsstatut des Verfassungsgerichts nicht geregelt und kommt auch in der innerstaatlichen Gesetzgebung der Türkei nicht vor. Es gab keine rechtliche Legitimation für das Verfassungsgericht, eine Entscheidung im Rahmen einer vorsorglichen Maßnahme zu treffen, während das Verfahren noch anhängig war."
„Erdoğans Anrufe bestätigen unsere Auffassung“
Serhat Eren interpretiert den Anruf Erdoğans bei den Mitgliedern des Verfassungsgerichts, über den in der Presse berichtet wurde, als Eingeständnis dessen, was bereits bekannt ist: „Wir hatten bereits erklärt, dass die Entscheidung über die Sperrung auf Druck der Regierung getroffen wurde. Jetzt haben wir aus der Presse erfahren, dass Erdoğan die Richter angerufen und zur Rechenschaft gezogen hat. Das ist eine Aussage, die alle unsere bisherigen Erklärungen rechtfertigt, in denen wir nachdrücklich betont haben, dass das Verfahren politisch und auf Anweisung der Regierung eröffnet wurde.
Die Tatsache, dass Erdoğan Mitglieder der höchsten Judikative des Landes anruft und sie zur Rechenschaft zieht, zeigt sehr deutlich: Die Justiz ist völlig untergeordnet, abhängig, beherrscht und unter Druck gesetzt von der Regierung, auch von Erdoğan. Sie ist an einem Punkt angelangt, an dem sie völlig nach den Anweisungen der AKP/MHP-Regierung handelt. Daher ist es nicht möglich, die Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Schließung unserer Partei vorherzusagen. Es hat den Anschein, dass die sieben Mitglieder, die gegen die Aufhebung gestimmt haben, völlig politisch handeln werden, ungeachtet der Dokumente, Informationen und Beweise, die wir vorgelegt haben. Daher ist es schwierig vorherzusagen, wie sich die anderen Mitglieder letztendlich in Bezug auf die Schließung verhalten werden. Die Entscheidung, die Sperre aufzuheben, bedeutet nicht, dass diese Mitglieder im Fall der Schließung dieselbe Haltung einnehmen werden.“