„Eltern müssen mit ihren Kindern in der Muttersprache sprechen“

Wie Sami Tan, der Vorsitzende des Kurdischen Instituts, in Ankara erklärte, wird Kurdisch häufiger als früher als Schriftsprache verwendet, es wird jedoch weniger gesprochen. Eltern müssten mit ihren Kindern in der Muttersprache sprechen.

Aus Anlass des Tages der kurdischen Sprache am 15. Mai ruft der Vorsitzende des Kurdischen Instituts Sami Tan Eltern dazu auf, mit ihren Kindern Kurdisch zu sprechen. Kurdisch sei zwar als Schriftsprache inzwischen weiter verbreitet, werde insgesamt jedoch weniger gesprochen.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) hat sich Sami Tan zur Entwicklung der kurdischen Sprache geäußert.

Wie die kurdische Gesellschaft habe auch die kurdische Sprache in der Türkei keinen offiziellen Status, erklärte Tan. Die Regierungspartei AKP habe Kurdisch eine gewisse Zeit sogar auf Wahlplakaten verwendet, was aufgrund fehlenden Sprachwissens eher peinlich gewesen sei. „Bei diesen Wahlen werden sie es nicht wieder versuchen, weil insbesondere seit der Ausrufung des Ausnahmezustandes auf eine gemeinsame nationalistische Linie mit der MHP gesetzt wird. Im Moment benutzt nur die HDP die kurdische Sprache im Wahlkampf, die anderen Parteien vermeiden es.“

 Der kurdische Sprachwissenschaftler Tan wies weiterhin auf das Verbot für kurdische Schülerinnen und Schüler hin, ihre Muttersprache zu sprechen. In der kurdischen Region innerhalb der Türkei hängen in vielen Schulen Warnschilder mit der Aufschrift „Ich spreche nicht kurdisch“.

Zum Umgang mit der kurdischen Sprache in der Türkei erklärte Tan: „Diese Gesellschaft vergisst einfach alles, was sie vergessen will. Seit Jahren heißt es, dass es in diesem Land keinen armenischen Genozid gegeben hat oder dass es gar keine Kurden gibt. Weil der Staat oder die Herrschenden es so wollen, tut die Gesellschaft so, als habe sie es vergessen. Wie weit kann diese Strategie erfolgreich sein? Der Geist ist nun mal der Flasche entwichen. Insbesondere seit den 2000er Jahren hat die kurdische Gesellschaft mit ihrem demokratischen Kampf ihren Willen bewiesen und bei den Kommunalwahlen sind viele Kurden als Sieger hervorgegangen. Damit wurde ein Prozess eingeleitet, der nicht rückgängig zu machen ist. Das ist auch den Machthabenden bekannt, daher machen sie eine eher schambesetzte Politik der Verleugnung. Zum Beispiel haben die eingesetzten Zwangsverwalter zunächst nur türkische Fahnen an die Verwaltungsgebäude gehängt. Erst nach und nach haben sie die kurdischen Schilder entfernt. Diese Verleugnung ist nicht überzeugend.“

Mehr Schriftsprache, weniger Alltagssprache

Tan äußerte sich auch zur staatlichem Unterdrückung der kurdischen Sprache und der Auto-Assimilation, die von den Kurden selbst ausgehe. „Die seit neunzig Jahren anhaltende Verleugnungs- und Assimilierungspolitik hat mit ihrer zeitweisen Gewaltanwendung bis zum Mord die Unsicherheit der kurdischen Gesellschaft bezüglich ihrer eigenen Sprache erhöht. Das Vorgehen, das darauf ausgerichtet ist, den Willen der Gesellschaft zu brechen, hat teilweise Erfolge gezeigt. Die jüngere Generation entfernt sich langsam von ihrer Muttersprache. Wenn die Eltern mit ihren Kindern nicht Kurdisch sprechen, wird es für die nächste Generation zur Fremdsprache. Es ist viel unternommen worden, um dem entgegen zu wirken. Diese Bemühungen sind jedoch nicht organisiert genug und eher individuell. Bei soziolinguistischer Betrachtung wird deutlich, dass durchschnittlich mehr Menschen Kurdisch lesen und schreiben können, aber immer weniger Kurdisch gesprochen wird. Das liegt an der Auto-Assimilation.“

Um gegen diese Entwicklung anzugehen, ist nach Ansicht von Sami Tan ein ganzheitlicher Ansatz notwendig. „In allen gesellschaftlichen Bereichen muss ein Bewusstsein über die eigene Existenz und Identität hergestellt werden. Und das erfordert natürlich einen organisierten Kampf.“