Immer wieder werden seit der türkischen Invasion in Efrîn im Frühjahr 2018 kurdische Frauen, insbesondere Ezidinnen, durch protürkische Milizen verschleppt. Viele befinden sich nach wie vor in den Gefängnissen der von der Türkei befehligten Milizen, werden gefoltert und sexuell missbraucht. Videos, die in den letzten Wochen in Online-Netzwerken auftauchten, zeigten unter anderem die Evakuierung von verschleppten und inhaftierten weiblichen Gefangenen, die in einem Internierungslager der protürkischen Miliz „Furqat al-Hamza” gefunden worden waren. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Efrîn waren sie zu dem Zeitpunkt nackt und gefesselt.
Akbulut fragt nach Konsequenzen der Bundesregierung
Die integrations- und migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gökay Akbulut, hat die Bundesregierung gefragt, inwiefern sie, angesichts der Berichte über geheime Frauengefängnisse protürkischer Milizen in Efrîn, in denen insbesondere Ezidinnen gefoltert werden, die türkische Regierung auffordern werde, diese aufzulösen und die völkerrechtswidrige Besatzung in Nordsyrien zu beenden.
Ausweichende Antwort der Bundesregierung – indirekte Legitimierung der Besatzung
In der Antwort der Bundesregierung heißt es: „Die Bundesregierung hat gegenüber der Türkei von Beginn der türkischen Militäroperation in Afrin an deutlich gemacht, dass dem Schutz der Zivilbevölkerung und der Einhaltung des humanitären Völkerrechts eine herausragende Bedeutung zukommen.“ Damit zeigt die Bundesregierung, dass eine Besatzung und Invasion der Region, soweit sie das humanitäre Völkerrecht berücksichtigt, zu tolerieren sei. Sie untermauert sogar indirekt die türkische Position: „Die Lage in Nordsyrien einschließlich der türkischen Militäroperationen ist fortwährend Thema der Gespräche der Bundesregierung mit Vertretern der türkischen Regierung. Die Bundesregierung hat die türkische Regierung wiederholt mit Nachdruck dazu aufgerufen, ihre Sicherheitsinteressen in Syrien nicht mit militärischen Mitteln, sondern auf politischem Wege zu verfolgen.“ Die Forderung nach politischen Mitteln verbindet die Bundesregierung hier mit der Anerkennung von „Sicherheitsinteressen der Türkei“. Damit greift die Bundesregierung eines der zentralen Legitimationsmuster der Türkei für ihre völkerrechtswidrige Invasion auf und sieht darüber hinweg, dass von Nordsyrien und Rojava nicht die geringste Aggression gegen die Türkei ausgegangen war.
Das ging sogar soweit, dass das türkische Regime selbst Kriegsgründe produzieren musste. Damit begann sie bereits 2014. So tauchte 2014 ein Mitschnitt eines Gesprächs zwischen dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoğlu und dem Geheimdienstchef Hakan Fidan auf, in dem es um einen möglichen Einmarsch in Syrien geht. „Die Rechtfertigung ist kein Problem", so Fidan. „Ich schicke vier Leute nach Syrien. Die schießen ein paar Raketen auf die Türkei und dann haben wir einen Grund." Dass die Türkei bis heute diese Politik verfolgt, ist die Bundesregierung nicht bereit zu sehen.
„Beunruhigt” über „mutmaßliche Völkerrechtsverletzungen”
Die Bundesregierung zeigte sich „sehr beunruhigt” über „mutmaßliche” Völkerrechtsverletzungen „durch syrische, von der Türkei unterstützte Milizen in Nordsyrien, von denen auch Jesidinnen und Jesiden betroffen sind”. Weiter heißt es: „Eine unabhängige Verifizierung der Berichte ist der Bundesregierung nicht möglich. Eine völkerstrafrechtliche Einordnung obliegt unabhängigen Gerichten, denen die Bundesregierung nicht vorgreifen kann.” Durch den Verweis auf die Gerichte versucht die Bundesregierung Konsequenzen auszuweichen. Wenn Menschenrechtsverletzungen durch Staaten geschehen, die nicht mit der Bundesregierung verbündet sind, werden keine Urteile abgewartet, sondern es wird sogar militärisch agiert. Wenn es den geopolitischen Interessen zuwiderläuft, etwas zu unternehmen, werden die schlimmsten Verbrechen toleriert, ist ein Vorwurf vieler Kritiker*innen, den sich die Bundesregierung gefallen lassen muss. Statt Konsequenzen zu ziehen, verweist die Bundesregierung scheinheilig auf das Veto Chinas und Russlands gegen einen Internationalen Strafgerichtshof zur Gesamtsituation in Syrien. Dabei ist garantiert, dass die NATO alles daran setzen wird, dass die Türkei dort niemals auf die Anklagebank käme.
Akbulut: Besatzung nicht hinnehmbar
Die Fragestellerin Gökay Akbulut kommentiert die Antwort der Bundesregierung: „Die Besatzung der Türkei und ihrer islamistischen Banden ist nicht hinnehmbar. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Türkei gegen Kurden und die Verbrechen gegen die Menschheit, die vom türkischen Militär und ihren verbündeten Banden getätigt werden, müssen vor dem Internationalen Strafgerichtshof verurteilt werden. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat auf einen Verweis der Situation in Rojava an den Internationalen Strafgerichtshof drängt.”