Politischer Montagssalon der Berliner Veranstaltungsreihe „Dialoge mit Öcalan“

Über 70 Gäste kamen zur dritten Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dialoge mit Öcalan“ ins Cafe Morgenrot in Berlin und diskutierten mit Anja Flach über den Stellenwert von Selbstverteidigung in der kurdischen Freiheitsbewegung.

Am Montagabend hat im Cafe Morgenrot in Prenzlauer Berg in Berlin die dritte Veranstaltung der Reihe „Dialoge mit Öcalan“ stattgefunden. Über 70 Gäste hörten sich den Input über den Stellenwert von Selbstverteidigung in der kurdischen Freiheitsbewegung an und nahmen an der anschließender Diskussion teil.

Nachdem die ersten beiden Veranstaltungen eine Einordnung in die Philosophie Abdullah Öcalans, den Stellenwert von Politik und das Verhältnis dieser zum Staat boten, lag dieses Mal der Fokus auf dem Thema Selbstverteidigung. Wie die Moderatorin des Salons betonte, „wird mit den Diskussionen und Gesprächen ein Dialog mit einem Mann ermöglicht, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft sitzt und seit über drei Jahren in totaler Isolation gehalten wird. Durch die Auseinandersetzung mit seinen Ideen schaffen wir es, die Türen Imralis einen winzig kleinen Spalt zu öffnen.“

Der Input wurde von der langjährigen Aktivistin und Autorin Anja Flach vorgetragen, welche bereits in den 1990ern für mehrere Jahre in die Berge Kurdistans ging. Dort war sie unter anderem Teil der damals noch jungen autonomen Frauenarmee. Wie Anja Flach betonte, verging nach dem internationalen Komplott gegen Öcalan und seiner Inhaftierung wenig Zeit, bis dieser in seiner Gefängniszelle begann, über diverse Themen zu schreiben, trotz der Tatsache, dass ihm wenig Bücher zur Verfügung standen. In diesen Werken nimmt das Thema Selbstverteidigung als Garant für gesellschaftliches Fortbestehen und positive gesellschaftliche Aufbrüche eine wichtige Stellung ein.

Anja Flach hatte 1995 die Chance, Abdullah Öcalan in der damaligen Parteiakademie in Damaskus kennenzulernen, da sie als Teil einer internationalen Mobilisierung dem Aufruf gefolgt war, in die Berge Kurdistans zu kommen. Teil dieses internationalen Aufbruchs war auch Cengiz Ulutürk, der vorher bei der Berliner Antifaşist Gençlik aktiv war. Er folgte als türkischer Internationalist 1994 dem Aufruf Öcalans und ging in die Berge, wo er 1996 auf dem Weg in die Dersim-Region fiel.

Für Öcalan sei Selbstverteidigung die Sicherheitspolitik einer ethisch-politischen Gesellschaft, erklärte die Referentin. Ohne Selbstverteidigung sei die Gesellschaft zum Verlust ihrer moralischen und politischen Eigenschaften verdammt und befinde sich damit entweder im Prozess der Kolonisierung oder bereits im Widerstand. Abdullah Öcalan betont dabei, dass eine Gesellschaft, welche die Fähigkeit der Selbstorganisierung verloren hat, sich nicht den Mühlen des Kapitalismus widersetzen könne. Für Anja Flach liegt darin einer der wesentlichen Gründe, warum westliche Gesellschaften beispielsweise nicht in der Lage sind, sich gegen die Verschärfung der ökologischen Krise zur Wehr zu setzen.

„Im absoluten Gegenteil dazu steht die Theorie der Rose, die mit ihren Dornen den Facettenreichtum von gesellschaftlicher Selbstverteidigung symbolisiert“, so die Referentin. Nach Öcalan liegt in der Selbstverteidigung die Fähigkeit, sich gegen den Verlust des Selbst und damit die eigene Identität zu verteidigen. „Krieg ist in Abgrenzung dazu die letzte Konsequenz patriarchaler Machtausübung. Er ist Mittel zur Unterwerfung, geführt von Nationalstaaten mit männlich dominierten Heeren“, so Anja Flach. Grundsätzlich anders sei wiederum die Realität verschiedener Befreiungsbewegungen, die meist eine hohe Quote von Frauen und teilweise Flintas aufweisen. In diesem Sinne habe auch die kurdische Freiheitsbewegung auf die Notwendigkeit gesellschaftlicher Selbstverteidigung mit dem Aufbau der Frauenarmee in den 1990er Jahren geantwortet, was zu einer Demokratisierung der gesamten Militärstrukturen geführt hat.

Wie entscheidend Selbstverteidigung als Dimension des Lebens ist, zeigt die Revolution von Rojava eindrücklich, wie aus dem Publikum festgehalten wurde: „Dort wird trotz andauernder, heftiger Angriffe das gesellschaftliche und politische Leben seit über zehn Jahren verteidigt. Ohne Selbstbewusstsein, eigene Kraft und Aktionsfähigkeit als Elemente der Selbstverteidigung sind Revolutionen dem Untergang oder der Reintegration in das Herrschaftssystem geweiht, was die Geschichte von Revolutionen wie in Nicaragua oder der Sowjetunion zeigt.“