DLF-Beitrag löst scharfe Kritik aus

Der DLF-Beitrag von Marion Sendker zum „kurdischen Terror“ wird vor allem von Kurd:innen scharf kritisiert. Civan Akbulut, Passar Hariky und Scharo Maroof sehen eine Täter-Opfer-Umkehr und fordern eine Richtigstellung.

Der Beitrag „Die Türkei und der kurdische Terror“ von Marion Sendker, erschienen im Deutschlandfunk am 22. Juni 2022, hat scharfe Kritik ausgelöst. Civaka Azad, das kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit mit Sitz in Berlin, wirft der Autorin gravierende Defizite vor und bezeichnet den Beitrag als „Paradebeispiel für die Rolle der medialen Berichterstattung für die Legitimationsbeschaffung des PKK-Verbots“. Im Internet kam es zu entsetzten und wütenden Reaktionen, in einem Kommentar in der Jungen Welt stellt Emre Şahin unter dem Titel Kurdistan-Expertin des Tages: Marion Sendker fest, dass mit dem Beitrag offensichtlich ein Staatssender einem künftigen Krieg den Boden bereitet.

Der Essener Linkspolitiker Civan Akbulut hat zusammen mit Passar Hariky und Scharo Maroof eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und fordert eine inhaltliche Klarstellung und eine Entschuldigung für rassistische Aussagen. Der Beitrag weise „bestürzend viele Wissenslücken und Fehler auf. Zudem wird die Position des türkischen Staates unkritisch übernommen und damit antikurdischer Rassismus reproduziert, durch dessen Verbreitung bereits unzählige Menschen in der Vergangenheit Opfer rassistisch motivierter Angriffe wurden“, kritisieren Akbulut, Hariky und Maroof. Dabei gehe die Autorin bewusst nicht auf die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen der Türkei ein, da dies dem Narrativ der „bösen Kurd:innen“ widersprechen würde. Zudem gebe es keinen Raum für eine kurdische Perspektive, stattdessen kommen reichlich türkische und westliche Positionen zu Wort, die einen „Geschmack von kolonialer Haltung“ haben.

Täter-Opfer-Umkehr

„Es wird versucht, den Diskurs in eine Richtung zu drängen, in der die kurdische Realität und ihr Schicksal keine Rolle spielen. Es wird eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, die tatsächliche Konsequenzen für das Leben kurdischstämmiger Menschen haben kann. Nicht zuletzt, weil regierungskritische Menschen auch in Europa um ihr Leben fürchten müssen. Wir sind umso bestürzter, dass der Text allem Anschein nach inhaltlich nicht auf seine Richtigkeit geprüft wurde. Diese einseitige Berichterstattung ist äußerst gefährlich und muss unbedingt aufgearbeitet werden“, fordern Akbulut, Hariky und Maroof.

Explizit werden folgende Punkte kritisiert:

Osmanische Kolonialvorstellungen

Mehrmals bedient sich der Text rassistischer Bezeichnungen. Zweimal „Kurdenstaat”, zehnmal „Nordirak” und zweimal „Kurdengebiete”. Die Terminologien wie „Kurdenstaat” und „Kurdengebiete” sind bewusst gewählte rassistische Bezeichnungen für die Heimat der Kurd:innen. Diese Heimat wird offiziell Kurdistan genannt. „Nordirak” als Bezeichnung ist eine noch weitere rassistische Äußerung, die bewusst den offiziellen Namen der Autonomen Region Kurdistan ablösen soll, um die Legitimation des Namens Kurdistan zu hinterfragen. Osmanische Kolonialvorstellungen werden in der modernen Türkei aufrechterhalten. Diese rassistische und koloniale Devise wird durch den Text nicht hinterfragt oder kritisch angegangen, sondern reproduziert und alltagstauglich gemacht.

Grenzüberschreitende Militäroperationen treffen Zivilbevölkerung

Im Text steht „Das zeigt sich jedes Jahr auch im Nordirak, wo die Türkei – meistens im Frühling – mit militärischen Operationen gegen in den Bergen verschanzte PKK-Kämpfern vorrückt.” Diese Aussage ist falsch. Die Militäroperationen der Türkei gegen die PKK sind nicht nur auf die Berge begrenzt, sondern beinhalten Operationen und Luftschläge weiter im Landesinneren. Mehrmals hat die Türkei im Zuge ihrer vermeintlichen Anti-PKK-Militäroperationen Menschen im Geflüchtetencamp Mexmûr, ezidische Genozidüberlebende in Shingal oder kurdische Politiker:innen und Aktivist:innen angegriffen und ermordet. Diese sind nicht an der Grenze zur Türkei, sondern befinden sich hunderte Kilometer im Landesinneren. Sowohl in der Autonomen Region Kurdistan als auch im Irak.

Kein einheitlicher Konsens aller politischen Akteure

Im Text steht „Unterstützt wird die türkische Seite dieses Mal auch durch die irakisch-kurdischen Peschmerga. Sie ist der Autonomieverwaltung in der nordirakischen Stadt Erbil unterstellt. Deren Ministerpräsident Masrour Barzani will die PKK genauso vernichten, wie die Regierung in Ankara.” Die Unterstützung durch Peshmerga-Einheiten in den türkischen Operationen in der Autonomen Region Kurdistan ist faktisch falsch. Die Aussage impliziert einen einheitlichen Konsens aller politischen Akteure zu den türkischen Operationen. Diese ist nicht gegeben.

Es gibt eine einheitliche kurdische Sprache

Im Text steht „Einen einheitlichen Kurdenstaat hat es nie gegeben, so wie es auch keine einheitliche kurdische Sprache gibt, sondern viele Dialekte. Kaum ein Kurde kann sie alle sprechen oder verstehen.”. Diese Aussagen sind falsch und rassistisch. Im Laufe der letzten 3000 Jahre gab es mehrere sogenannte “kurdische Staaten”. Von der Antike mit Cordune und dem Medienreich, über das Mittelalter mit Botan, Soran, Badinan, Bitlis, Ardalan bis hin zum 20. Jahrhundert mit der Republik Ararat, dem Königreich Kurdistan sowie der Republik Kurdistan. Eine einheitliche kurdische Sprache gibt es sehr wohl. Diese heißt Kurdisch und ist unterteilt in viele Dialekte. Diese Aussage ist offensichtlich rassistisch und ist nicht ohne Grund vor allem unter Anhängern der rechtsextremen Grauen Wölfe weit verbreitet. In der Regel können sich Kurd:innen selbstverständlich untereinander verständigen, trotz unterschiedlicher Dialekte. Im Übrigen ähnelt der deutsche Sprachraum mit den unterschiedlichen Dialekten wie bayrisch, schwäbisch, westfälisch usw. dem kurdischen, somit ist diese Aussage nicht nur unreflektiert, sondern auch ignorant.

Gefährlicher Rassismus

Im Text steht „Organisiert in Großfamilien, Klans und Stämmen, von denen viele seit ihrem Bestehen untereinander konkurrieren.” Diese Aussage ist falsch und ebenso rassistisch. Die koloniale Mentalität der Autorin, Kurd:innen zu klassifizieren und sie in Klischee-Schubladen zu stecken, wird hier sehr deutlich und zeigt, welcher Gesinnung dieser Artikel entspringt. Das ist besonders problematisch und gefährlich.

Kurd:innen werden täglich von der Türkei angegriffen

Im Text steht „Der Kampf der PKK hat in ihrem mehr als 40-jährigen Bestehen mehr als 40.000 Tote gefordert.” Das ist nicht korrekt. Der Großteil dieser Toten geht auf das Konto der Türkei, davon waren die meisten übrigens kurdische Zivilisten. Das ist weitreichend dokumentiert. Ganze Dörfer wurden samt Bevölkerung niedergebrannt, Kurd:innen verfolgt und ermordet. Bis heute werden täglich Kurd:innen durch Angriffe der Türkei verletzt oder getötet. Für den Tod dieser Menschen trägt ganz alleine die Türkei die Verantwortung, zumal sie wiederholt Waffenstillstände bricht und nachweislich Kriegsverbrechen begeht.

Raum für kurdische Perspektive gefordert

Abschließend halten Civan Akbulut, Passar Hariky und Scharo Maroof fest: Wir verzichten bewusst darauf, auf alle inhaltlichen Fehler im Artikel einzugehen, da dies den Rahmen sprengen würde und wir mit den eben genannten Punkten bereits deutlich gemacht haben, welche gravierenden Fehler Frau Sendker in ihrer Recherche gemacht hat. Da neben der einseitigen Darstellung tatsächlich auch schlichtweg falsche Informationen dem Artikel zu entnehmen sind, erwarten wir vom Deutschlandfunk eine Prüfung des Sachstandes und eine offizielle Stellungnahme. Wir bedauern, dass auf die berechtigte Kritik nicht eingegangen und der Inhalt vom Social-Media-Team der Redaktion teilweise sogar verteidigt wurde. Eine ausgewogene und mit Fakten belegbare Berichterstattung sollte Grundpfeiler jeder journalistischen Arbeit sein, vor allem wenn das Medium öffentlich-rechtlich finanziert wird. Darüber hinaus fordern wir, dass nach diesem Skandal als logische Konsequenz und zur inhaltlichen Klarstellung ein neuer Artikel veröffentlicht werden muss, der die oben aufgeführten Fehler aufarbeitet und auch Raum für kurdische Perspektiven schafft. Zudem fordern wir eine schriftliche Entschuldigung für die gravierend rassistischen Aussagen, die im Artikel getätigt wurden.“