„Die Studierenden haben nicht aufgegeben“
Der Widerstand an der Boğaziçi-Universität geht weiter. Viele der Studierenden erfahren das erste Mal Polizeigewalt. Dennoch wollen sie sich von Gewalt und Todesdrohungen nicht einschüchtern lassen.
Der Widerstand an der Boğaziçi-Universität geht weiter. Viele der Studierenden erfahren das erste Mal Polizeigewalt. Dennoch wollen sie sich von Gewalt und Todesdrohungen nicht einschüchtern lassen.
Seit der Ernennung des Universitätsrektors Melih Bulu durch den türkischen Regimechef Recep Tayyip Erdoğan dauern die Proteste an der Boğaziçi-Universität an. Studierende protestieren täglich gemeinsam mit dem Lehrpersonal gegen den Angriff des Regimes auf die Autonomie der Universitäten. Bisher wurden elf Studierende im Rahmen der Proteste inhaftiert. Weit über 500 Personen wurden wegen Unterstützung der Proteste im ganzen Land festgenommen. Aber trotz der Repression betonen die Studierenden, dass sie nicht bereit sind zurückzuweichen. Im ANF-Gespräch reden Studierende über Repression, Todesdrohungen, Diffamierungen und Widerstand.
„Wir haben drei Forderungen“
Aus Sicherheitsgründen bleiben die Studierenden im ANF-Gespräch anonym. Zur Haltung des Regimes und zu ihren Forderungen erklären sie: „Von Anfang an war das Regime nicht bereit, die gerechtfertigten Forderungen der Studierenden gegen die Zwangsverwaltung der Universität zu akzeptieren. Das wird auch öffentlich so geäußert. Sie sagen, diese ‚Geschehnisse‘ seien das Werk von ‚Provokateueren‘. Außerdem versuchen sie die sowieso in der Gesellschaft vorhandene Homophobie zu benutzen und die LGBTI+-Aktivist*innen als ‚Perverse‘, die ‚gegen den Glauben‘ sind, darzustellen. Da sie die Proteste nicht marginalisieren konnten, versuchen sie die Protestierenden als Mitglieder von ‚Terrororganisationen‘ zu stigmatisieren und greifen insbesondere unsere LGBTI+-Freund*innen an. Wir haben drei grundlegende Forderungen, wir wollen, dass die Menschen, die bei den Protestaktionen verhaftet wurden, freigelassen werden, dass der Zwangsverwalter geht und eine neue Rektorin oder ein neuer Rektor durch eine demokratische Wahl bestimmt wird.“
„Wir werden mit dem Tod bedroht“
Die Studierenden berichten insbesondere auch über Todesdrohungen: „LGBTI+-Personen wurden zur Zielscheibe gemacht. Sie haben Todesdrohungen erhalten. Wir erhalten diese Drohungen ebenfalls. Wenn wir zusammen reden, dann vergleichen wir, wer wie viele Todesdrohungen bekommen hat.“
„Viele Studierende stehen zum ersten Mal in ihrem Leben der Polizei gegenüber“
Gefragt nach Parallelen zu den Gezi-Protesten antworten die Studierenden: „Wenn Menschen in diesem Land zusammenkommen und Grundrechte verteidigen, ist es unmöglich, das nicht mit Gezi zu vergleichen. Wenige der Menschen, die heute an der Boğaziçi-Universität protestieren, sind alt genug, um bei den Gezi-Protesten dabei gewesen zu sein. Die Mehrheit der Studierenden steht zum ersten Mal in ihrem Leben der Polizei gegenüber. Ein Großteil von ihnen wurde bei den Aktionen zusammengeschlagen oder festgenommen. Zuerst gab es eine Zeitlang eine große Beteiligung an den Aktionen. Ein Teil der Studierenden wollte sich dann ein paar Tage ausruhen. Trotz aller Repression sind seit Montag die Proteste wieder so stark besucht wie am vorherigen Höhepunkt. Die Studierenden haben nicht aufgegeben. Andererseits gibt es natürlich Leute, die aufgeben haben und die dann einigen zum Vorwurf machen, warum sie etwas auf Kurdisch oder Armenisch getwittert haben. Aber unsere Haltung ist klar, wir stehen an der Seite aller gesellschaftlichen Gruppen und wir missachten niemanden.“